Die erste Todsuende
seine Augen sahen, mit dem, was seine Ohren gehört hatten. Er fing an, ja, er fing an, in Daniel Blank einzudringen.
Bis gegen elf arbeitete er an seinen Unterlagen, dann hielt er die Zeit für gekommen, Charles Lipsky anzurufen.
„Hallo", meldete sich eine quengelnde Stimme.
„Ich möchte gern Charles Lipsky sprechen."
„Ja, am Apparat. Wer ist da?" Delaney hörte das Argwöhnische, Vorsichtige in der dünnen, näselnden Stimme und überlegte, was für schicksalhafte Gespräche der Pförtner um diese Zeit wohl erwarten mochte.
„Mr. Lipsky, mein Name ist Miller, Ward M. Miller. Hat Ihr Schwager Ihnen von mir erzählt?"
„Ja, er hat angerufen." Die Stimme klang erleichtert, so als sei die Katastrophe noch einmal abgewendet oder zumindest aufgeschoben worden.
„Ich hatte gehofft, wir könnten uns mal zusammensetzen, Mr. Lipsky. Nur ein paar Minuten."
„Ja, wissen Sie..." Die Stimme wurde leise und bekam etwas Verschwörerisches, .....ich darf ja eigentlich nicht über die Mieter reden. Das ist strikt verboten."
Delaney deutete diesen Appell an die Tugend richtig als einen Versuch, den Preis in die Höhe zu treiben.
„Aber das versteht sich doch von selbst, Mr. Lipsky. Bitte glauben Sie mir, Sie brauchen mir kein Wort zu erzählen, wovon Sie meinen, Sie sollten es nicht tun. Doch es könnte zu unser beider Vorteil sein. Sie verstehen?"
„Hm... ja..."
„Ich verfüge über ein Spesenkonto."
„Naja, gut."
„Ihr Name wird nicht hineingezogen."
„Ist das ganz sicher?"
„Absolut. Also: wann und wo?"
„Hm, um vier morgen früh habe ich Dienstschluß. Gewöhnlich trinke ich in der Imbißstube Ecke 2nd Avenue/85th Street noch einen Kaffee, ehe ich nach Haus gehe. Um diese Zeit ist es dort fast leer, bis auf ein paar Taxifahrer und Nutten."
Delaney kannte die Pinte, die Lipsky meinte, verriet es jedoch nicht.
„Ecke 2nd Avenue und 85th Street", wiederholte er. „Sagen wir gegen viertel nach vier, halb fünf?"
„Ja. So etwa."
„Dann bis dahin."
Delaney legte auf. Er war zufrieden. Der Mann hörte sich an wie ein kleiner Gauner, der hinter jedem Penny her war. Der Captain nahm sich vor, via Thorsen nachprüfen zu lassen, ob in den Akten der Polizei etwas gegen Charles Lipsky vorlag. Er hätte wetten mögen, daß dem so war.
Er ging sofort zu Bett und stellte den Wecker auf halb vier. Obwohl er im Geiste noch einmal durchging, wie er Lipsky anfassen und welche Fragen er ihm stellen wollte, schlief er doch bald darauf ein.
Delaney kam zu früh. Es war erst kurz nach vier. Bei seinem Eintritt verstummten die Gespräche, und alle Köpfe drehten sich zur Tür. Da er jedoch augenscheinlich nicht den Eindruck machte, als werde er gleich „Hände hoch!" sagen, und eine Tasse Kaffee und einen Pfannkuchen bestellte, wandten die anderen Gäste sich wieder ihrem Essen und ihrer Unterhaltung zu.
Der Captain nahm an einem Zweiertisch hinten im Lokal Platz. Von dort aus hatte er Tür und Fenster gut im Auge. Den Hut setzte er nicht ab, wohl aber knöpfte er sich den Mantel auf. Geduldig saß er da, schlürfte den schwarzen Kaffee und aß die Hälfte des Pfannkuchens, mehr schaffte er nicht.
Zehn Minuten später kam sein Mann. Gedrungen, fast etwas verkrüppelt mit dicker Taille und breiten Hüften; er sah aus wie ein alter, fett gewordener Jockey. Sein Blick war unstet, die Augen wanderten durch den Raum. Die anderen Gäste sahen zu ihm hinüber, ließen sich jedoch nicht stören. Der Neuankömmling bestellte eine Tasse Milchkaffee und ein Stück Apfeltorte und kam mit beidem an Delaneys Tisch.
„Miller?"
Delaney nickte. „Mr. Lipsky?"
„Ja."
Der Pförtner nahm gegenüber dem Captain Platz. Er hatte noch immer seine Uniform an und trug dazu, völlig unpassend, eine Jockeykappe in buntem Schottenmuster. Er faßte Delaney kurz ins Auge, doch dann flackerte der Blick wieder.
Ein Gauner. Delaney war sich jetzt völlig sicher. Ein mieser kleiner Gauner. Immer bereit, kleine krumme Sachen zu machen. Alles, was ein paar lumpige Dollar einbrachte: verbotenes Glücksspiel, vielleicht ein paar kleinere Diebstähle, Hehlerei, unbezahlte Schulden, unter Umständen sogar Erpressungsversuche. Ein Gauner der billigen Sorte.
„Ich hab nicht viel Zeit", sagte Lipsky in seiner leisen, quengeligen Redeweise. „Um zwölf fängt meine Tagschicht schon wieder an." Er schaufelte einen Bissen Apfeltorte nach dem anderen in seinen überraschend kleinen Mund.
„Harter Job", sagte Delaney voller Mitgefühl.
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