Die erste Todsuende
Handschuhe; beides kam in die Außentasche des Mantels.
Ehe er das Haus verließ, wählte er die Nummer von Daniel Blank. Er kannte sie inzwischen auswendig. Es klingelte dreimal, und dann hörte er die vertraute Stimme „Hallo?" sagen, worauf Delaney sanft den Hörer auf die Gabel legte. Jedenfalls war sein Freund zu Hause.
Er setzte seinen steifen Homburg auf und ließ das Licht in der Diele brennen, schloß zweimal die Vordertür zu und trat hinaus in die Nacht. Er bewegte sich steif, und ihm war warm unter den vielen Lagen Stoff. Aber er wußte, daß das nicht lange dauern würde.
Er ging zu Fuß zu Daniel Blank hinüber. Noch waren die Straßen voll von Menschen; mit Weihnachtsgeschenken beladen eilten die Leute nach Hause. Die Eingangshalle des Hochhauses war strahlend hell erleuchtet. Zwei Pförtner hatten Dienst, der eine von ihnen war Lipsky. Sie steckten immer wieder große Trinkgelder ein - warum auch nicht, schließlich stand Weihnachten vor der Tür, oder? Taxis kamen und fuhren wieder weg, Privatwagen fuhren in die Tiefgarage. Mieter mit prallen Plastiktüten und riesigen Paketen schleppten sich zum Eingang.
Delaney bezog auf der anderen Straßenseite Posten und ging auf und ab, von einer Straßenecke zur anderen. Die Halle war fast immer leicht zu überschauen, zumindest brauchte er immer nur ein wenig über die Schulter zu blicken. Wenn er der Eingangshalle den Rücken zuwendete, drehte er häufig genug den Kopf, um alle Ankommenden und Abfahrenden wahrzunehmen. War er fünfmal auf und ab geschritten, überquerte er die Straße und ging auf der anderen Seite einmal direkt am Haus vorbei und kehrte dann wieder auf die ursprüngliche Straßenseite zurück. Er ging weder schnell noch langsam, trat bei jedem Schritt kräftig auf und schwenkte die Arme mehr als sonst.
Er konnte diese Aufgabe ganz automatisch wahrnehmen, und er freute sich, daß er jetzt Zeit genug hatte, sich seine Unterhaltung mit Thorsen, Johnson und Alinski noch einmal gründlich durch den Kopf gehen zu lassen.
Was ihn beunruhigte, war, ob er sich, was das Beweismaterial anging, auch wirklich unmißverständlich ausgedrückt hatte. Vor zehn Jahren wäre er sich in dieser Beziehung völlig sicher gewesen. Aber kürzlich gefällte Gerichtsentscheide, insbesondere jene des Obersten Bundesgerichts, hatten ihn - und alle Polizeibeamten -dermaßen verunsichert, daß sie die Regeln der Beweisführung und die Rechte der Verdächtigen nicht mehr ganz begriffen.
Nein, er hatte alles absolut korrekt vorgetragen. Bis zur Stunde konnte man Dan nichts anhaben.
Aber wenn man ihm gesetzlich nicht beikommen...
Delaney hörte auf, über die Sache nachzudenken. Er warf einen Blick über die Schulter zurück. Ein Mann stand in der Eingangshalle und sprach mit einem der Pförtner. Der Mann war groß und schlank und trug einen schwarzen Mantel und keinen Hut. Delaney hielt inne, tat so, als werfe er einen Blick auf seine Armbanduhr, die er gar nicht umhatte, machte eine ungeduldige Geste, drehte sich um und ging auf die Eingangshalle zu.
Im selben Augenblick, da Daniel Blank aus der Glastür heraustrat und einen Moment stehenblieb, blieb auch er, direkt gegenüber dem Eingang, auf der anderen Straßenseite stehen. Kein Zweifel, er war es: breite Schultern, schmale Hüften, hübsch, mit leicht asiatischen Zügen. Die linke Hand hatte er in die Manteltasche gesteckt. Delaney sah, wie er die Nachtluft einsog, sich mit der Rechten den Mantel zuknöpfte und den Kragen hochschlug. Dann trat Blank auf die Auffahrt hinunter und wandte sich in westlicher Richtung, genau wie Delaney es auf der anderen Straßenseite auch tat.
Sieh mal einer an, dachte der Captain. Danny-Boy macht einen kleinen Spaziergang.
„Danny-Boy!" Der Name belustigte ihn. Er glich sich Blanks Tempo an, und als Dan die 2nd Avenue überquerte, tat Delaney auf seiner Seite das gleiche, nur ein wenig hinter ihm. Er verstand sich darauf, einen Mann zu verfolgen, allerdings bei weitem nicht so gut wie beispielweise Lieutenant Jeri Fernandez, der „Der Unsichtbare" genannt wurde.
Delaney tat sein Möglichstes und bediente sich der Tricks, auf die er sich verstand. Als Blank um die Ecke in die 3rd Avenue einbog, überquerte Delaney die Straße, um näher an ihn heranzukommen. Er beschleunigte seinen Schritt, um ihn zu überholen. Der Captain blieb stehen, um ein Schaufenster anzusehen, und beobachtete im Spiegel der Schaufensterscheibe, wie Blank an ihm vorüberging. Delaney ging wieder
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