Die erste Todsuende
sondern er war auch staubfrei, und Temperatur sowie Feuchtigkeitsgehalt der Luft waren streng kontrolliert. An Feuer war nicht zu denken. Nicht nur das Rauchen war verboten, sondern bereits das Mitführen von Streichhölzern oder einem Feuerzeug war ein Grund zur fristlosen Entlassung. Die Wände bestanden aus unbemaltem rostfreien Stahl, die Beleuchtung aus Leuchtstoffröhren. Der Computerraum war ein schmuckloses Gewölbe, ein Operationssaal, der an Gummipuffern im Stahlskelett des Verlagshauses aufgehängt war.
Neunzig Prozent von alledem war reiner Humbug. Schließlich handelte es sich weder um ein Atomforschungsinstitut, noch um ein Laboratorium, in dem mit tödlichen Viren experimentiert wurde. Die geschäftlichen Vorgänge, die AMROK II abwickelte, erforderten diese absurden Sicherheitsvorkehrungen keineswegs -weder die sterilen Kappen und Kittel, die „Luftschleuse", noch das Verbot, sich normal zu unterhalten.
Daniel Blank hatte all dies bewußt und mit voller Absicht angeordnet. Noch bevor AMROK II installiert wurde und die Arbeit aufnahm, hatte er erkannt, daß sein Funktionieren für die meisten Mitarbeiter von Javis-Bircham - den Aufsichtsrat nicht ausgenommen - ein ehrfurchtgebietendes Mysterium bedeuten würde, und Blank hatte die Absicht, dafür zu sorgen, daß das, was im Computerraum vor sich ging, auch für alle ein Rätsel blieb. Damit machte er sich nicht nur unentbehrlich für die Firma, er erleichterte sich auch das Leben am jährlichen „Budget-Tag", an dem er ständig steigende Summen für seine Abteilung forderte.
Blank ging zu dem Stahltisch, an dem die vier jungen Männer sich im Flüsterton unterhielten. Das war seine Sonderabteilung XI, die tüchtigsten Techniker der Frühschicht. Blank hatte sie auf ein Problem angesetzt, das selbst in diesem Raum noch „Streng geheim" war.
Aus Langeweile, aus dem Wunsch heraus, die Vertriebsabteilung weiter auszubauen, seine persönliche Macht und seinen Einfluß zu vergrößern, war Blank auf den Gedanken verfallen, den einzelnen Zeitschriften vorzuschreiben, in welchem Verhältnis redaktioneller Teil und Anzeigenteil zueinander zu stehen hätten. Früher war dieses Verhältnis wesentlich von technischen Überlegungen bestimmt worden, weil die Druckmaschinen Zeitschriften in Bogen von acht oder sechzehn Seiten drucken konnten. Jetzt erlaubte die Drucktechnik die Herstellung von Zeitschriften in jedem beliebigen Umfang: 15, 47, 76, 103 oder 241 Seiten, was gerade verlangt wurde.
Daß es da gewisse Grenzen gab, lag auf der Hand: Papier kostet Geld, desgleichen die Arbeitszeit der Druckmaschine. Die verschiedenen Herausgeber rangelten ständig mit der Herstellung über den Umfang ihrer Zeitschriften. Daniel Blank sah eine prächtige Gelegenheit, in diesen Kampf einzugreifen und beide Seiten an die Wand zu drängen, indem er vorschlug, man solle AMROK II darüber bestimmen lassen, wie das Verhältnis von redaktionellem Teil zum Anzeigenteil festzusetzen sei.
Bei diesem Vorhaben würde er, das wußte er, einer lautstarken Opposition gegenüberstehen. Redakteure und Herausgeber würden geltend machen, daß es sich um einen Eingriff in ihr eigenes Arbeitsgebiet handele, und die Herstellung würde darin eine Beschneidung ihrer Macht sehen. Falls es Blank jedoch gelang, ein praktikables Programm vorzulegen, dann konnte er, davon war er überzeugt, einen Sieg über die gewieften Männer davontragen, die in den holzgetäfelten Arbeitsräumen des einunddreißigsten Stocks residierten. Dann bestimmte er — und AMROK II, versteht sich -den Umfang des redaktionellen Teils einer jeden Zeitschrift.
Doch all das war noch Zukunftsmusik. Im Augenblick ereiferte sich die Sonderabteilung XI darüber, wie man den Computer programmieren müsse. Blank lauschte den im Flüsterton vorgebrachten Argumenten, ließ den Blick von Sprecher zu Sprecher wandern und überlegte dabei, ob es wahr sei, was sie gesagt hatte — daß sie sich manchmal die Brustwarzen rot färbe?
Er wartete bis drei Uhr am Nachmittag, ehe er anrief. Der lispelnde Hausmeister bat ihn, einen Augenblick am Apparat zu bleiben, und ließ sich dann wieder vernehmen mit dem Bescheid: „Miss Montfort bittet Sie, in einer halben Stunde noch einmal anzurufen." Verwirrt legte Blank auf, ging genau eine halbe Stunde in seinem Büro auf und ab, aß eine eisgekühlte Birne aus seinem kleinen Kühlschrank und rief dann wieder an. Diesmal wurde er mit ihr verbunden.
„Hallo", sagte er. „Wie geht es Ihnen?"
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