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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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habe ich Talent, aber es reicht nicht aus. Der blinde Dichter in Samarra ist ein Genie. Ein Gedicht ist ein kondensierter Roman. Der Romancier muß seinen Stoff ausbreiten, um begreiflich zu machen, worum es ihm geht, verstehen Sie? Der Dichter tut das Gegenteil, kann aber natürlich nicht so zuversichtlich auf Verständnis hoffen."
    Unversehens neigte sie sich vor und küßte ihn auf die Lippen, während Valenter und der Knabe mit ernster Miene zusahen.

    „Wie geht es Ihnen?" fragte sie.
    Valenter brachte ihr ein Glas Rotwein. Sie setzte sich neben Blank auf das Ledersofa. Valenter schürte das Feuer, legte noch ein kleines Scheit nach und nahm dann hinter dem Ledersessel Aufstellung, auf dem Anthony sich von Schatten überflackert zusammengekauert hatte.
    „Ich hoffe, die Party bei Mortons wird amüsant." Es war ein Versuch, Konversation zu machen. „Ein Haufen Leute, viel Lärm und großes Gedränge. Aber wir brauchen ja nicht lange zu bleiben."
    „Haben Sie jemals Haschisch geraucht?" fragte sie.
    Nervös sah er zu dem Knaben herüber.
    „Ich habe es einmal versucht", sagte er leise. „Aber mir sagte es nichts. Ich ziehe Alkohol vor."
    „Trinken Sie viel?"
    „Nein."
    Der Junge trug weiße Flanellhosen, weiche weiße Lederschuhe und ein weißes Trikothemd, das seine schlanken Arme unbedeckt ließ. Er bewegte sich langsam, schlug die Beine übereinander, streckte sich und blies die Backen auf. Celia Montfort wandte den Kopf, um zu ihm hinüberzusehen. Ging ein Signal zwischen ihnen hin und her?
    „Tony", sagte sie.
    Augenblicklich legte Valenter leicht die Hand auf die Schulter des Jungen.
    „Zeit für die Schularbeiten, Master Montfort", sagte er.
    „Puuhh", machte Tony.
    Seite an Seite verließen sie das Zimmer. Unter der Tür blieb der Junge stehen, drehte sich um und verneigte sich gemessen in Richtung auf Blank.
    „Ich freue mich sehr, daß ich Sie kennengelernt habe, Sir", sagte er förmlich.
    Dann war er verschwunden. Valenter schloß leise die Tür hinter sich.
    „Ein Bild von einem Jungen", sagte Daniel. „Auf welche Schule geht er denn?"
    Sie gab keine Antwort, und er sah sie an. Sie schaute in ihr Weinglas und drehte den Stiel langsam zwischen ihren langen Fingern. Das glatte schwarze Haar fiel ihr übers Gesicht — ein schmales, nachdenkliches Gesicht, umwölkt und entschlossen.
    Sie stellte ihr Weinglas hin, stand auf und ging ziellos im Zimmer hin und her, während er ständig den Kopf drehte, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie berührte Dinge, nahm sie auf, stellte sie wieder hin. Er zweifelte nicht daran, daß sie unter dem Abendkleid nackt war. Der Atlasstoff klebte bisweilen an ihrem Körper und rutschte dann weg, lag fest an, glitt leise raschelnd ab.
    Während sie auf und ab ging, begann sie einen weiteren Monolog aus ihrem offenbar unerschöpflichen Repertoire. Er spürte, daß sie ihm bewußt etwas vorspielte: kein Schauspiel allerdings, sondern ein Ballett - stilisiert und schwer zu durchschauen. Vor allem spürte er, daß eine Absicht dahinterlag: ein Motiv und ein Plan.
    „Meine Eltern sind schon armselige Geschöpfe", sagte sie gerade. „Leben in der Vergangenheit. Aber das heißt überhaupt nicht leben, oder? Das heißt, sich lebendig begraben. Mutter ist ganz Seidenchiffon, Vater trägt Knickerbocker. Man könnte sie für wandelnde Schaufensterpuppen in einem Mode-Museum halten. Ich suche Würde, und das einzige, was ich finde, ist... Was ist es, was ich will? Größe, nehme ich an. Ja, daran habe ich gedacht. Aber ist es denn überhaupt möglich, im Leben Größe zu erlangen? Was wir für Größe halten, ist immer mit Untergang und Tod verbunden. Die griechischen Dramen. Napoleons Rückkehr aus Rußland. Lincoln. Das hat übermenschliche Würde. Adel, wenn Sie so wollen. Aber immer mit dem Tod im Hintergrund. Wie edel die Lebenden auch sein mögen, sie schaffen es nie ganz, finden Sie nicht auch? Da muß erst noch der Tod für sie hinzukommen. Was, wenn John Kennedy am Leben geblieben wäre? Noch hat keiner sein Leben als ein Kunstwerk beschrieben, und doch war es das. Mit Anfang, Mitte und Ende. Größe! Die hat der Tod ihm verliehen. Sind Sie bereit? Wollen wir gehen?"
    „Hoffentlich mögen Sie französische Küche", brummelte er. „Ich habe einen Tisch reservieren lassen."
    „Das spielt keine Rolle", sagte sie.
    Während des Essens ging das Ballett weiter. Sie wollte unbedingt auf einer Bank sitzen, Seite an Seite mit ihm. Bei der Mahlzeit wechselten

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