Die erste Todsuende
den Korridor.
„Sie hat ein paar schlimme Stunden hinter sich", flüsterte sie. „Vorhin mußten wir sie zu zweit niederhalten, und wir mußten ihr was geben. Der Doktor sagte, das sei in Ordnung."
„Wie kommt das? Woran liegt das?" wollte Delaney wissen. „Ein neues Medikament?"
„Das müssen Sie den Arzt fragen", sagte die Schwesternhelferin steif.
„Ich bleibe eine Weile bei ihr", sagte Delaney.
Die Schwesternhelferin nickte strahlend. „Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie gehen. Es sei denn, sie schläft bis dahin."
„Schläft sie im Augenblick nicht?"
„Nein. Sie hat nur die Augen geschlossen, aber sie ist wach. Falls Sie Hilfe brauchen, klingeln Sie nur oder rufen Sie."
Rasch trippelte sie davon, und er überlegte, wozu er wohl Hilfe gebrauchen könnte. Leise ging er ins Krankenzimmer zurück, zog einen Stuhl an Barbaras Bett heran, setzte sich und blickte sie an. Es sah aus, als schliefe sie: Ihre Augen waren fest geschlossen, der Atem ging tief und regelmäßig. Doch plötzlich öffneten sich blinzelnd ihre Augenlider, und sie starrte an die Decke.
„Barbara?" rief er liebevoll. „Mein Herz!"
Sie wandte nicht den Kopf, nur ihre Augen bewegten sich, richteten sich auf ihn, sahen durch ihn hindurch, erkannten ihn nicht.
„Barbara, ich bin's, Edward. Ich bin hier. Ich hab dir soviel zu erzählen, Liebling. Es ist soviel passiert."
„Honey Bunch?" sagte sie.
„Ich bin's, Edward. Ich habe dir soviel zu erzählen, Liebling. Es ist soviel passiert."
„Honey Bunch?" wiederholte sie.
Die Bücher lagen auf dem metallenen Nachttischchen neben ihrem Bett. Ohne auf den Titel zu sehen, nahm er das oberste und schlug es aufs Geratewohl auf. Da er seine Brille nicht dabei hatte, mußte er das Buch fast auf Armeslänge von sich weghalten. Aber die Schrift war groß und zwischen den Zeilen viel Abstand.
Kerzengerade saß der Leiter der „Sonderkommission Lombard" in seiner besten Uniform da und fing an zu lesen.
„An diesem Morgen pflückte Honey Bunch ihren ersten Strauß Kapuzinerkresse und verschenkte ihn. Das war eines der schönsten Erlebnisse im Garten - den ersten Strauß verschenken..."
42
Er schlief, wenn er konnte, aber viel war es nicht: vier bis fünf Stunden pro Nacht vielleicht. Aber zu seiner freudigen Überraschung warf ihn das keineswegs zurück. Innerhalb von drei Tagen hatte er alles organisiert. Es funktionierte.
Er holte Lieutenant Jeri Fernandez aus dem „Textilviertel" heraus, in dem es ihm nicht gefiel, und überließ ihm das Kommando über die Gruppe, die Daniel Blank beschattete. Delaney ließ ihm bei der Auswahl seiner Leute völlig freie Hand; das waren Aufgaben, die er liebte und auf die er sich hervorragend verstand. Es war Fernandez' Idee, sich bei der Consolidated Edison Hoch- und Tiefbaugesellschaft einen Gerätewagen auszuleihen und die East 83rd Street in der Nähe der Auffahrt von Blanks Hochhaus ein Stück aufzureißen. Die Polizisten, natürlich in Zivil, trugen Con-Ed-Arbeitskleidung und -Helme und waren sehr langsam bei ihrer Arbeit. Das Loch, das sie auf der Fahrbahn aushoben, behinderte zwar enorm den Verkehr, aber in dem Fahrzeug waren Funkgeräte und Waffen untergebracht, und es diente Fernandez als Kommandozentrale. Delaney war begeistert. Die Verkehrsbehinderung interessierte ihn nicht.
Als „Chef vom Innendienst" forderte der Captain Ronald Blankenship an, jenen Beamten, der die beiden früheren Zwischenfälle mit Daniel Blank bearbeitet hatte. In enger Zusammenarbeit verlegten sie beide die Kommandozentrale der „Kommission Lombard" aus der Revierwache nach nebenan in Delaneys Wohnzimmer. Zwar hatten sie dort nicht soviel Platz, wie sie sich gewünscht hätten, aber es hatte andere Vorteile; die Telefon- und Fernmeldetechnik konnte Kabel durch das Fenster hinaus zum Dach hinauf ziehen und sie von dort aus mit der Antenne der Revierwache verbinden.
Auf Sergeant Thomas MacDonald, genannt „Pops", fiel Delaneys Wahl, als es um den Leiter der Ermittlungsabteilung ging, und MacDonald war überglücklich. Er zog aus einem über verstaubten Akten verbrachten Nachmittag ebensoviel Vergnügen wie ein anderer aus dem Besuch eines Massagesalons auf der 8th Avenue. Binnen vierundzwanzig Stunden hatten seine Leute ein immer umfangreicher anschwellendes Dossier über Daniel G. Blank angelegt.
Captain Delaney schätzte zwar die unbezahlte Arbeit seiner freiwilligen Helfer, konnte jedoch die Vorteile, die das offizielle Kommando mit sich brachte, nicht
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