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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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brauchte er vermutlich eine weitere Abteilung.
    Das war in groben Umrissen das, was getan werden mußte. Und wenn es auch erst ganz provisorisch war, so war es doch immerhin ein Anfang. Fast eine ganze Stunde lang machte er sich Notizen, ging dann ins Detail und überlegte, welche Leute er am liebsten wo einsetzen würde, wem er noch etwas schuldig war. Jemandem einen Gefallen tun! „Ich bin dir noch etwas schuldig." - „Da bist du mir noch etwas schuldig." Lebensblut der Polizei. Der Politik. Des Geschäftslebens. Der drängenden, intrigierenden, brutalen Welt. War das nicht der Kitt, der das ganze wackelige Gebäude zusammenhielt? Sei du nett zu mir, dann bin ich auch nett zu dir. Charles Lipsky: „Schließlich wäscht eine Hand die andere, oder?"

    Mehr als eine Stunde war seit seinem Gespräch mit Thorsen verstrichen. Inzwischen hatte das Fernschreiben bestimmt jede Revierwache, jede Detektiv-Abteilung und jedes Sonderdezernat in der Stadt erreicht. Captain Delaney ging hinauf in sein Schlafzimmer. Nach einer „Katzenwäsche" zog er seine neueste Uniform an, die er bisher nur bei offiziellen Anlässen und Beerdigungen getragen hatte. Er reckte die Schultern, zog den Uniformrock straff und überzeugte sich, daß alle Ehrenzeichen ordentlich angeheftet waren. Aus dem Wandschrank holte er eine neue Uniformmütze. Sie stak noch im Plastikbeutel. Er putzte den Mützenschirm am Ärmel blank und setzte die Mütze dann kerzengerade auf, zog den kurzen Schirm tief in die Stirn. Die Uniform war wie eine Zwangsjacke und hatte etwas Bedrohliches.
    Er nahm keinen Mantel: Er brauchte nicht weit zu gehen. Er ging rasch noch einmal ins Arbeitszimmer, um das Foto von Daniel G. Blank aus dem Hefter zu nehmen und seine Adresse auf die Rückseite zu schreiben, nicht jedoch seinen Namen. Das Foto steckte er in die Gesäßtasche. Die Brille ließ er auf dem Schreibtisch liegen. Nach Möglichkeit trug man bei einem Kommando keine Brille oder verriet irgendwelche körperlichen Gebrechen. Das war zwar lächerlich, aber es war so.
    Er schloß ab und ging nach nebenan auf die Polizeiwache des 251. Reviers. Das Fernschreiben war offensichtlich schon eingegangen ; mit vor der Brust verschränkten Armen stand Dorfman da und schien ihn zu erwarten. Er kam sofort auf ihn zu und verzog sein langes, häßliches Gesicht zu einem entspannten Grinsen. Eifrig streckte er Delaney die Hand hin.
    „Ich gratuliere, Captain."
    „Vielen Dank", sagte Delaney und schüttelte ihm die Hand. „Ich werde als erstes dafür Sorge tragen, daß Sie so bald wie möglich wieder Herr im Hause sind. In spätestens ein oder zwei Tagen. Wo halten die Beamten sich auf?"
    „Im Tagesraum der Detektiv-Abteilung."
    „Wie viele sind es?"
    „Etwa dreißig bis vierzig. Sie sind zwar unterrichtet worden, aber sie wissen nicht, was sie machen sollen."
    Delaney nickte. Er stieg die alte, knarrende Treppe hinauf. Die Tür zum Tagesraum der Detektive war geschlossen. Männerstimmen waren zu hören, teils verstört, teils zornig. Der Captain machte die Tür auf und sah sich um.
    Die meisten trugen Zivil, nur wenige Uniform. Einige Köpfe drehten sich nach ihm um, nach und nach alle. Das Stimmengewirr verstummte. Er stand einfach da, blickte streng unter dem Mützenschirm hervor. Alle starrten sie ihn an. Ein paar erhoben sich widerwillig. Dann noch ein paar und noch ein paar. Er stand bloß da und wartete regungslos, beobachtete sie. Einige von ihnen kannte er, doch sein reservierter Gesichtsausdruck änderte sich kein bißchen. Er wartete, bis alle standen und schwiegen.
    „Ich bin Captain Edward X. Delaney", sagte er mit klarer Stimme. „Ich führe jetzt das Kommando. Sind irgendwelche Lieutenants hier?"
    Ein paar von den Männern sahen sich unsicher um. Schließlich rief jemand aus dem Hintergrund: „Nein, Captain, keine Lieutenants."
    „Irgendwelche Sergeants?"
    Eine Hand ging in die Höhe — eine schwarze Hand. Delaney ging auf die erhobene Hand zu, die Männer traten beiseite, um ihn durchzulassen. Er ging bis ganz nach hinten, wo er dem schwarzen Sergeant gegenübertrat, einem untersetzten, massigen Mann mit scharfen Zügen und weißgrauem Haar, das wie eine Wollmütze am Schädel anlag. Der Mann wurde „Pops" genannt, wie Delaney wußte, und sah aus wie ein Professor für Mittelenglische Literatur.
    „Detective Sergeant Thomas MacDonald", sagte Captain Delaney so laut, daß jeder ihn hören konnte.
    „Ja, der bin ich, Captain."
    „Ich erinnere mich. Wir haben

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