Die erste Todsuende
Javis-Bircham spielte. Bei persönlichen Fragen war er äußerst vorsichtig und zurückhaltend gewesen und hatte immer wieder gefragt, was sie mit dem Thema des Interviews zu tun hätten. Soweit der Reporter herausbekommen hatte, war Blank geschieden, hatte keine Kinder und hegte auch keine Pläne, sich wieder zu verheiraten. Er lebte ein Junggesellenleben, fand das höchst angenehm und kannte keinen anderen Ehrgeiz, als J-B nach besten Kräften zu dienen.
„Sehr hübsch." Delaney nickte. „Sie sagen, er sei 'in sich gekehrt' gewesen. Genau diesen Ausdruck haben Sie verwendet. Was meinen Sie damit?"
„Waren Sie beim Militär, Captain? Dann kennen Sie wahrscheinlich den Ausdruck: Tausend-Meilen-Blick?"
„Ja, natürlich. Den Blick auf nichts Bestimmtes richten."
„Richtig. Das tut dieser Blank. Hat es jedenfalls bei unserem Interview getan. Er sah mich an, in mich hinein, durch mich hindurch, irgendwohin. Die meisten dieser energiegeladenen Manager halten den Blick immer auf die Stelle zwischen den Augen ihres Gegenübers gerichtet, damit es so aussieht, als ob sie den Besucher offen anblicken. Aber dieser Kerl war ganz woanders, irgendwo. Ich wüßte beim besten Willen nicht zu sagen, wo."
„Gut, gut!" brummte Delaney und machte sich ein paar Notizen. „Sonst noch was? Körperliche Besonderheiten? Angewohnheiten? Kaut er an den Nägeln?"
„Nein... Aber er trägt eine Perücke. Wußten Sie das?"
„Nein", sagte der Captain und tat überrascht. „Eine Perücke? Er ist doch erst Mitte Dreißig. Sind Sie sich ganz sicher?"
„Absolut", sagte Handry und genoß die Überraschung. „Sie saß nicht mal richtig. Doch das schien ihm gleichgültig zu sein."
„Mmm. Wie war er angezogen?"
„'Unauffällige Eleganz' nennt man so was wohl. Schwarzer, sehr gut geschnittener Anzug. Weißes Hemd, gestärkter Kragen. Gestreifte Krawatte. Schwarze, matt glänzende Schuhe."
„Sie eignen sich phantastisch als Detektiv."
„Das haben Sie mir schon mal gesagt."
„Hat er eine Fahne gehabt?"
„Nein. Aber, er benutzt ein stark riechendes Eau de Cologne oder Rasierwasser."
„Das paßt. Hat er sich an den Hoden gerieben?"
„Was?"
„Hat er an sich rumgefummelt?"
„Großer Gott, Captain, auf Ideen kommen Sie!"
„Wie sah er aus - dünn, ausgemergelt? So als hätte er in letzter Zeit schlecht gegessen?"
„Nein, das kann ich nicht sagen. Höchstens..."
„Was?" hakte Delaney sofort nach.
„Dunkle Ringe unter den Augen. Die Tränensäcke leicht geschwollen. Als ob er in letzter Zeit nicht besonders gut geschlafen hätte. Aber sonst war sein Gesicht sehr straff. Er ist ein verdammt gut aussehender Mann, das muß man ihm lassen. Und sein Händedruck war fest und trocken. Er sah aus, als ob er körperlich gut in Form wäre. Kurz bevor ich mich verabschiedete, wir standen beide schon, gab er mir eine Broschüre. Aus Versehen rutschte sie mir aus der Hand, doch noch ehe sie zu Boden fiel, bückte sich Blank und fing sie auf. Blitzschnell!"
„Ja!" Delaney nickte grimmig. „Er ist blitzschnell, das kann man wohl sagen! Doch nun erzählen Sie mir mal, was Sie von ihm halten, was für ein Gefühl Sie bei dem Mann haben."
„Darf ich einen Drink haben?"
„Aber natürlich. Bedienen Sie sich."
„Ja, also... " sagte Thomas Handry, während er den Whisky über seine Eiswürfel plätschern ließ, „der Mann ist ein Rätsel. Weder so noch so. Er ist irgend etwas dazwischen, zwischen A und B, oder meinetwegen auch zwischen A und Z. Ich drücke mich nicht besonders klar aus, ich weiß."
„Sprechen Sie ruhig weiter."
„Er ist einfach nicht dabei. Ist nicht da. Er macht den Eindruck eines Menschen, der sich treiben läßt. Er schwebt irgendwo. Wer, zum Teufel, soll wissen, wo? Dieser Blick ins Leere. Javis-Bircham und AMROK II sind ihm völlig gleichgültig. Was er tut und sagt, ist reine Routine; daß das Interview abgedruckt werden soll, interessiert ihn nicht die Bohne. Ich weiß nicht, was in ihm vorgeht. Er wirkt verloren, und wie gesagt, er schwebt irgendwie, wie ein Ballon! Ohne Anker! Der Mann ist mir ein Rätsel, und er interessiert mich. Bloß lösen kann ich das Rätsel Blank nicht." Eine lange Pause. Dann: „Können Sie es?"
„Ich bin der Lösung auf der Spur", sagte Captain Delaney langsam. „Allerdings wirklich erst auf der Spur."
Ein ausgedehntes Schweigen machte sich breit. Handry nippte an seinem Whisky, und Delaney starrte auf die gegenüberliegende Wand.
„Er ist es, nicht wahr?" fragte
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