Die erste Todsuende
worauf er gehofft hatte. Er war Daniel G. Blank, drang tief in diesen Mann ein, der seinen Körper mit duftenden Essenzen ölte, mit parfümiertem Puder bestäubte, eng anliegende Seidenslips trug, eine elegante Perücke trug, der in steriler Einsamkeit lebte, mit einer Frau schlief, die einen Knabenkörper hatte, einen richtigen Knaben vögelte und in der Nacht hinausging auf der Suche nach einem Geliebten, der ihm dabei half, sich zu öffnen, zu fühlen, herauszufinden, wer er war, allem einen Sinn zu geben.
„Selbstmord?" wiederholte Delaney so leise, daß MacDonald ihn kaum verstand. „Nein. Jedenfalls nicht durch Erschießen oder Tabletten oder einen Sturz aus dem Fenster. Nein, Selbstmord wird er nicht begehen, gleichgültig, wie stark der Druck auch sein mag. Das paßt nicht zu ihm. Er liebt das Risiko. Klettert auf Berge. Gefahr wirkt auf ihn wie Champagner."
„Wie wird er sich verhalten, Captain?"
„Ich werde weglaufen", sagte Delaney mit fremder, flehentlicher Stimme. „Ich muß weglaufen."
45
Am zweiten Tag nach Weihnachten kam Daniel Blank zu dem Schluß, daß das Schlimmste - das Allerschlimmste - diese irrationalen Handlungen waren, zu wissen, daß sie irrational waren und sich doch nicht dagegen wehren zu können.
Zum Beispiel hatte er heute morgen, statt zur üblichen Zeit ins Büro zu gehen, korrekt gekleidet wie immer im Wohnzimmer herumgesessen, sich mindestens dreimal davon überzeugt, daß die Wohnungstür verschlossen war. Sie war es - er wußte es -, trotzdem hatte er nachgesehen. Dreimal.
Dann stürmte er plötzlich durch die Wohnung, riß Schranktüren auf, wühlte mit den Armen zwischen den Anzügen herum. Niemand da. Er wußte, daß es falsch war, sich aufzuführen, wie er es tat.
Er machte sich einen Drink zurecht, mitten am Vormittag, und hoffte, daß ihm das half. Er nahm ein Messer, um sich eine Scheibe Limone abzuschneiden. Lange starrte er die Schneide an und ließ das Messer dann scheppernd in den Ausguß fallen. Nicht, daß er in Versuchung gewesen wäre — aber er mochte es nicht in der Hand halten. Wenn er sich beispielsweise plötzlich die Augen wischen mußte...
Und die Sache mit den Sandalen? Es war merkwürdig. Er besaß ein Paar handgearbeitete Sandalen. Er erinnerte sich noch an den Laden in Greenwich Village, an die kühlen Hände der jungen Chinesin, die den Umriß seiner bloßen Füße auf dem weißen Papier nachgezogen hatte. Diese Sandalen trug er oft des Nachts, wenn er allein zu Hause war. Die Riemen waren so locker, daß er in die Sandalen hineinschlüpfen konnte, ohne sie erst lange aufschnallen zu müssen. So war es schon seit Jahren. Doch heute morgen waren die Riemen offen gewesen: Die Sandalen hatten neben seinem Bett gestanden und waren aufgeschnallt gewesen. Wer hatte das gemacht?
Und sein Zeitgefühl. Er meinte, es müßten zehn Minuten vergangen sein, und dann stellte sich heraus, daß es bereits eine Stunde später war. Er meinte, eine Stunde müsse verstrichen sein, und dann waren es nur zwanzig Minuten. Was ging da vor?
Und was geschah mit seinem Glied? Natürlich war das alles nur Einbildung, aber ihm kam es vor, als ob es kleiner würde, sich in den Hodensack zurückzöge. Lächerlich. Auch sein Stuhlgang war weniger regelmäßig. Er kam sich aufgedunsen und verstopft vor.
Anderes... Kleinigkeiten...
Ging von einem Raum in den anderen, und wenn er da war, wußte er nicht, warum er hierhergekommen war, was er gewollt hatte.
Hörte im Fernsehen ein Telefon klingeln und sprang auf, um an seinen eigenen Apparat zu eilen.
Als er sich schließlich überwand und doch ins Büro fuhr, liefen die Dinge nicht so glatt wie gewünscht. Nicht daß er sie nicht gemeistert hätte; sein Verstand arbeitete logisch und klar. Aber was sollte das alles?
Gegen Mittag kam Mrs. Cleek herein und ertappte ihn dabei, wie er, den Kopf in die Hände gelegt, am Schreibtisch saß und weinte. Ihre Augen strömten sogleich über vor Mitgefühl.
„Mr. Blank", sagte sie, „was ist denn?"
„Entschuldigen Sie", sagte er und seufzte. Und fügte hinzu: „Ein Todesfall in meiner Familie."
Was ihn in Tränen hatte ausbrechen lassen, war folgendes: Wissen Verrückte, daß sie verrückt sind? Das heißt, wissen sie, daß sie anomal handeln, aber einfach nicht anders können? Deshalb hatte er geweint.
„Oh! Das tut mir leid!" sagte Mrs. Cleek.
Endlich war er wieder zu Hause.
Es war noch früh. War es sechs? Vielleicht war es auch schon acht. Er wollte nicht auf
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