Die erste Todsuende
auftauchen, solange er sein Wissen, daß Daniel Blank der Täter war, für sich behielt. Er wußte: Der Mord an einem Polizeibeamten machte seine Kollegen zu Sizilianern. Es war nicht das erste Mal, daß er das erlebte. Er wußte, er brauchte nur zu sagen: „Na gut! Holen wir ihn uns!" und sie würden mit ihm kommen, und Daniel G. Blank würde von Kugeln zerfetzt und zerrissen werden und ins Nichts stürzen.
Langsam hob Captain Delaney den Kopf und sah sich die Männer, die ihn umstanden, an; ihre Gesichter waren verquält, voll unverhohlener Wut.
„Wir werden nach meinem Plan vorgehen", sagte er und bemühte sich, seine Stimme so normal wie immer klingen zu lassen. „Blankenship, lassen Sie die Marke auf Fingerabdrücke untersuchen. Schafft diesen Mist hier raus. Bringt den Abfallkorb zurück an die Ecke, wo ihr ihn geholt habt. Die anderen gehen wieder auf ihre Posten."
Mit festem Schritt ging er in sein Arbeitszimmer und schloß die Tür. Dann saß er wie benommen an seinem Schreibtisch und lauschte. Er hörte das Murmeln, das Schlurfen von Füßen. Vierundzwanzig Stunden, länger nicht. Dann würde irgendein Hitzkopf zu Blank gehen und ihn abknallen. Würde das tun, was er von sich zu Monica Gilbert gesagt hatte. Allerdings aus anderen Gründen.
Gegen 19 Uhr 30 zog er sich warm an und verließ das Haus. Zu dem Posten an der Tür sagte er, er ginge ins Krankenhaus. Statt dessen brach er zu seinem täglichen unangekündigten Inspektionsgang auf.
Der Gerätewagen der Con-Ed-Gesellschaft stand in der Nähe des Weißen Hauses. Er klopfte. Vorsichtig wurde der Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet. Der Mann erkannte ihn und salutierte halbherzig. Delaney trat ein. Die Tür wurde hinter ihm zugemacht. Ein Mann mit Fernrohr saß hinter einem verborgenen Spalt, ein anderer am Sendegerät.
„Wie geht's?" fragte Delaney.
Sie versicherten ihm, alles gehe gut. Er sah sich um, sah die Kochplatte, die sie aufgestellt hatten, die Kaffeemaschine, den winzigen Eisschrank, den sie sich von irgendwoher besorgt hatten.
„Gemütlich wie zu Hause." Er nickte.
Er wünschte ihnen ein frohes neues Jahr und ging wieder. Draußen blieb er bei der Grube stehen, die sie auf dem Fahrdamm ausgehoben hatten. Ein Mann in der Arbeitskluft der Con-Ed-Leute hockte darin und hielt unter dem Schutzhelm ein Transistorradio ans Ohr. Als er Delaney erkannte, nahm er es weg.
„Na, China schon in Sicht?" fragte er und wies auf die Schaufel, die unten in der Grube an der Wand lehnte.
Der Polizist war ein Schwarzer.
„Wir kommen schon noch hin, Captain", sagte er feierlich. „Wir kommen schon noch hin. Immer mit der Ruhe."
Delaney lächelte. „Bleiben Sie dran! Ein frohes neues Jahr!"
„Ihnen auch, Sir. Noch viele glückliche Jahre!"
Er wandte sich westwärts, ärgerlich über sich selbst. Das war nie seine Stärke gewesen, wie er wußte: zwanglos mit den Männern zu plaudern, die unter seinem Kommando standen.
Er kam zu einem Blumenladen. Der Inhaber wollte gerade schließen. Als er hörte, daß es sich um einen Auftrag für den nächsten Tag handelte, ließ er ihn eintreten. Der Captain beschrieb ihm genau, was er haben wollte: eine einzelne, langstielige Rose, die, in einem weißen Blumenkorb verpackt, Punkt neun Uhr am nächsten Morgen abgegeben werden sollte.
„Eine einzelne Rose per Boten?" fragte der Blumenhändler erstaunt. „Das müssen wir extra berechnen."
„Das verstehe ich." Delaney nickte. „Selbstverständlich bezahle ich, was nötig ist. Ich möchte Sie nur bitten, die Lieferung morgen früh als erstes zu erledigen."
„Soll eine Karte beigelegt werden, Sir?"
„Ja, bitte."
Auf eine kleine weiße Karte schrieb er: „Lieber Dan - hier ist eine neue Rose für die, die Du zerstört hast." Er unterschrieb mit „Albert Feinberg", steckte die Karte in den Umschlag, klebte ihn zu und adressierte ihn an Daniel G. Blank.
„Sind Sie sicher, daß die Sendung morgen früh pünktlich um neun Uhr abgegeben wird?"
„Selbstverständlich, Sir. Ich kümmere mich persönlich darum. Eine Menge Geld für eine einzelne Rose, Sir. Ein Liebesangebinde?"
„Ja." Captain Edward X. Delaney lächelte. „So etwas Ähnliches."
47
Als Delaney am nächsten Morgen erwachte, blieb er liegen und starrte trübsinnig an die Decke. Dann stand er auf, und zum erstenmal seit langer Zeit kniete er neben dem Bett nieder und sprach ein stummes Gebet für Barbara, für seine verstorbenen Eltern, für alle Toten, Schwachen und
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