Die erste Todsuende
nach Norden, wo der Verkehr sich lichtete. Er summte vor sich hin und klopfte mit den Händen den Takt aufs Steuerrad.
Nördlich von Yonkers fuhr er an den Straßenrand, hielt an und faltete seine Karte auseinander. Er konnte auf dem Parkway weiterfahren bis zur Schnellstraße und dann über die Tappan Zee-Brücke nach South Nyack fahren. Dann am Palisades Interstate Park vorbei auf die 32, bis Mountainville. Von dort in südlicher Richtung nach Chilton. Einfach... und schön. Alles war heute so: einfach und schön.
Es gab nicht die geringsten Schwierigkeiten, überhaupt keine. Nicht einmal Straßengebühr mußte er bezahlen, als er auf der Tappan Zee in westlicher Richtung weiterfuhr. Wenn er zurückfuhr, Richtung Osten, würde er natürlich bezahlen müssen. Aber er glaubte nicht, daß er zurückkehren würde. Mit gleichbleibender Geschwindigkeit fuhr er weiter, immer ein wenig über der zugelassenen Geschwindigkeit, und ehe er sich's versah, hatte er Chilton hinter sich gelassen und näherte sich dem Park. Jetzt war seine Corvette der einzige Wagen auf der Schotterstraße. Kein Mensch weit und breit. Wunderbar.
Er bog in den Feldweg ein, der zum Chilton State Park führte, sah, daß das Tor verschlossen war. Es kam ihm albern vor, anzuhalten und das Vorhängeschloß aufzubrechen, und so gab er einfach Gas, beschleunigte auf etwa hundertsechzig Stundenkilometer. Beim Aufprall riß er den Arm vor die Augen, sprengte mühelos das Tor, und die Flügel flogen weit auf. Daniel Blank trat auf die Bremse und hielt. Er war drinnen. Er stieg aus, streckte sich und sah sich um. Keine Menschenseele. Nichts als Winterlandschaft: kahle schwarze Bäume vor zartblauem Himmel. Eine klare, strenge Landschaft. Die Brise machte trunken, die Sonne war eine trüb gewordene, matt schimmernde Münze.
Er ließ sich Zeit, zog seine Kletterschuhe an und die gefütterte Windjacke. Die schwarzen Mokassins und den Mantel warf er einfach in den Wagen; beides würde er nicht mehr brauchen. Im letzten Augenblick zog er auch noch die strenge „Ivy League"-Perücke vom Kopf und ließ auch sie im Wagen zurück. Er streifte die Strickmütze über.
Er trug seine Sachen zum Fuß des Teufelszahns. Es war ein leicht ansteigender Fußweg von weniger als zehn Minuten, ein Waldpfad mit aus dem Boden herausragenden Felsen.
Am Eingang zum Kamin schnallte er seinen Klettergürtel um, befestigte ein Ende des Nylonseils daran und das andere Ende an seiner Ausrüstung: Rucksack, Steigeisen, Extrapullover, Eispickel. Und dann streifte er die rauhledernen Handschuhe über.
In aller Ruhe begann er den Aufstieg, gespannt darauf, ob seine Muskeln schlaff geworden waren. Doch er kam gut voran, und während er den Rücken krümmte und sich aufwärts schob, wurde er immer zuversichtlicher. Schließlich konnte er nach den geschlagenen Mauerhaken greifen und zog sich hinauf auf die Plattform. Dort ruhte er sich einen Moment aus, atmete tief durch, stand dann auf und hievte seine Sachen herauf. Er schnallte den Gürtel ab, warf alles auf einen Haufen. Er streckte sich, stemmte die Hände in die Seiten, holte tief Atem und drückte die Schultern durch.
Er zündete sich eine von seinen Lattichzigaretten an, sah zu, wie der Rauch wegwirbelte und sich verflüchtigte. Er sah den Fluß, sah, wie er eins wurde mit dem Meer, so wie der Rauch eins wurde mit der Luft. Alle Dinge wurden eins miteinander, verschmolzen, bis Wasser Land war und Land Wasser, Rauch Luft und Luft Rauch. Warum hatte sie so triumphierend gelächelt? Jetzt konnte er darüber nachdenken.
Er setzte sich auf den nackten Stein, zog die Beine an und legte die eine Wange auf die Knie. Er knöpfte die Windjacke, das Jackett und das Hemd auf und fuhr mit der Hand hinein und strich über seine Brust, die nicht viel flacher war als ihre. Er ließ den Finger langsam um die Brustwarze kreisen und dachte, daß sie glücklich gewesen war, als sie aufgeblickt und die Augen auf die schimmernde Stahlspitze gerichtet hatte, die niedergesaust kam, um ihr Denken auszulöschen. Sie war glücklich gewesen. Sie hatte die Gewißheit gewollt. Alles, was sie ihm erzählt hatte, bezeugte, wie qualvoll diese Suche nach einem Absoluten gewesen war. Und dann, der endlosen Winkelzüge ihrer wachen und sensiblen Intelligenz müde — dieser nackten, klaren Intelligenz, die sie geschmerzt haben mußte wie eine offene Wunde —, hatte sie ihn in ihren Plan einbezogen, ihn angetrieben und dann verraten. Wohlwissend, was das Ende sein
Weitere Kostenlose Bücher