Die erste Todsuende
einleuchtend, doch schien er ihm jetzt nicht mehr von großer Wichtigkeit.
Er war sich sogar über den Grund für seine Gleichgültigkeit im klaren: Celia Montfort. Verglichen mit ihr, mit seinem Verhältnis zu ihr, war seine Aufgabe bei Javis-Bircham ein Spiel für große Jungen, nicht schlechter und nicht besser als Go oder Monopoly. Er tat alles, was getan werden mußte, befolgte alle Regeln, war aber nicht richtig bei der Sache.
Er brütete vor sich hin, überlegte, wozu sie ihn wohl noch bringen würde. Endlich raffte er sich auf und nahm Trenchcoat und Hut. Den Entwurf ließ er auf dem Tisch liegen - zusammen mit den Essensresten und der Neige Kaffee in dem Plastikbecher. Auf dem Weg zum Direktions-Aufzug warf er einen Blick durch das Fenster des Computerraums. Die weißgekleideten Leute von der Nachtschicht glitten langsam auf Kreppsohlen über den Bodenbelag aus Kork, als schwebten sie durch einen sterilen Traum.
Von kurzen Windstößen getrieben, kam der Regen in Schauern und Schwällen. Taxis waren nirgends zu sehen. Blank schlug den Mantelkragen hoch, zog die Hutkrempe ins Gesicht und kämpfte sich in Richtung 8th Avenue voran. Wenn er kein Taxi fand, würde er in der 42nd Street einen Bus bis zur Ist Avenue nehmen und dort umsteigen.
Als er sich dem Zeitungskiosk beim U-Bahn-Eingang 42nd Street näherte, kam ihm eine Schar kichernder Mädchen in auffälligen roten, gelben, grünen und blauen Party-Kleidern unter offenen Mänteln entgegen; ihre langen Haare wurden vom Wind zerzaust. Blank machte große Augen; was hatten solche Schönheiten in dieser verrufenen Straße zu suchen?
Dann ging ihm ein Licht auf. Es waren alles Jungen und junge Männer, Transvestiten auf dem Weg zu einer Fête. In Seidenfummel und Spitzengewand, Abendpumps und wehenden Perücken, mit blutrot gefärbten Lippen, dunklem Augen-Make-up und rasierten Beinen in Nylon-Strumpfhosen, ausgestopften Brüsten, wedelnden Händen und kehligem Gelächter.
Weiche Finger legten sich auf seinen Arm. Eine spöttische Stimme:
„Dan!"
Es war Anthony Montfort, der sich umdrehte und ihm kokett zuwinkte. Wie eine Flamme loderte sein blondes Haar im Regen. Und dann, ein paar Schritte hinter ihm, der große, hagere, in einen schwarzen Regenmantel gehüllte Valenter.
Daniel stand da und sah der die Avenue hinabeilenden und immer kleiner werdenden Prozession nach. Er hörte Rufe, rauhkehlige Schreie. Dann waren sie verschwunden, und er starrte ins Leere.
Sie fuhr weg - einen Tag, zwei Tage, eine Woche. War sie nicht verreist, durfte er ebenfalls nicht mit ihr sprechen, sondern hörte nur Valenters „Miss Montforts Residenz" nebst der Auskunft, sie sei nicht zu Hause.
Ihm ging auf, daß diese unerklärten Abwesenheiten unweigerlich auf ihre erotischen Rituale in der Dachkammer folgten. Am Tag darauf pflegte er, vor Liebe und von der Erinnerung an die genossenen Freuden in den Grundfesten erschüttert, anzurufen und mußte dann jedesmal feststellen, daß sie fort war oder aber ihn nicht sprechen wollte.
Er glaubte, daß sie mit ihm spielte, daß das zu dem bedeutungsvollen Ballett gehörte, das sie tanzte. Sie näherte sich ihm, berührte ihn und zog sich wieder zurück. Er folgte ihr, sie lachte, er berührte sie, sie liebkoste ihn, er streckte die Hände aus, sie zog sich zurück, den Finger lockend gekrümmt. Der Tanz berauschte ihn.
Einmal, nachdem sie vier Tage fortgewesen war, fand er sie erschöpft und ausgelaugt, mit gelben Quetschungen an Armen und Beinen und violetten Ringen unter den Augen. Wo sie gewesen sei und was sie getan habe, wollte sie ihm nicht sagen. Schlaff und ohne Widerstand zu bieten lag sie da und verlangte von ihm, daß er sie mißhandelte. Voller Zorn tat er das, woraufhin sie ihm dankte. Gehörte auch das zu ihrem Plan?
Sie war ein unentwirrbares Knäuel von Absonderlichkeiten. Für gewöhnlich war sie wohlgepflegt, gebadet und parfümiert, bürstete ihr langes Haar, daß es glänzte, feilte und lackierte die Nägel. Eines Abends kam sie doch als abgetakelte alte Hure in seine Wohnung. Wie er entdeckte, hatte sie nicht gebadet. Sie spielte die zügellose Schlampe, sah ihn aus höhnischen Augen an und führte gemeine und zotige Reden. Er konnte ihr nicht widerstehen.
Sie spielte seltsame Spiele. Eines Abends zog sie ein Kinderkleidchen an, hockte sich auf seinen Schoß und sagte 'Daddy' zu ihm. Ein andermal - wie hatte sie das nur erraten? - kaufte sie ihm eine Goldkette und bestand darauf, daß er sie um die
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