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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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eigenen verworrenen Traum fiel, überlegte er noch, ob nicht AMROK II, wenn man ihn nur richtig programmierte, im Handumdrehen ausspucken könnte, was es bedeutete — nämlich etwas, was enorme Konsequenzen hätte.
    „Nein, nein", sagte Celia Montfort mit größtem Nachdruck und lehnte sich dabei im Kreis des Kerzenlichtes vor. „Das Böse ist nicht nur das Fehlen des Guten. Es ist nicht nur Unterlassung oder Versäumnis, sondern ein Auftrag, ist aktives Tun. Man kann nicht jemand böse nennen, nur weil er Menschen verhungern läßt, um die bescheidenen Mittel seines Landes in die Schwerindustrie zu stecken. Das war eine politische und ökonomische Entscheidung. Vielleicht hat er recht, vielleicht nicht. So was interessiert mich nicht. Aber ich glaube, daß ihr unrecht habt, wenn ihr ihn böse nennt. Das Böse ist eigentlich eine Art Religion. Ich halte ihn für nichts weiter als einen Narren, der Gutes tun will. Aber böse -nein! Böse sein, dazu gehört Intelligenz und bewußte Absicht. Findest du nicht, Daniel?"
    Sie wandte sich ihm plötzlich zu. Seine Hand zitterte, und er verschüttete ein paar Tropfen Rotwein, die auf das ungebügelte Leinentischtuch fielen, wo sie sich ausbreiteten wie ein Blutgerinnsel.
    „Nun ja..." sagte er langsam.
    Sie hatte zum Abendessen eingeladen: Blank, Mortons und Anthony Montfort saßen um einen gewaltigen, kerzenbeleuchteten Eßtisch in einer frostigen Höhle von Speisesaal.
    Sie tranken faden Beaujolais, und die Unterhaltung drehte sich um den Staatsbesuch des Diktators eines neuen afrikanischen Staates, eines Mannes, der weißpaspelierte Westen und ein Schulterhalfter samt Pistole trug.
    „Nein, Samuel." Celia schüttelte den Kopf. „Er ist nicht böse. Sie gehen mit dem Wort zu leichtfertig um. Der Mann ist doch nichts weiter als ein Stümper. Habgierig vielleicht. Oder darauf aus, sich an seinen Feinden zu rächen. Aber Habgier und Rachsucht sind doch nur niedrige Motive. Das wahre Böse hat etwas Edles, wie jeder Glaube. Glaube setzt rückhaltlose Hingabe voraus, bedeutet Verzicht auf die Vernunft."
    „Wer war denn böse?" fragte Florence Morton.
    „Hitler?" fragte Samuel Morton.
    Celia sah sich langsam in der Tischrunde um. „Ihr versteht einfach nicht", sagte sie dann leise. „Ich rede doch nicht vom Bösen um des Ehrgeizes willen. Ich rede vom Bösen um des Bösen willen. Hitler nicht, nein. Ich meine die Heiligen des Bösen, die eine Vision haben und ihr folgen. Genauso wie die christlichen Heiligen eine Vision des Guten hatten und ihr folgten. Ich glaube nicht, daß es moderne Heilige gegeben hat - weder des Guten noch des Bösen. Aber die Möglichkeit dazu ist in uns angelegt. In allen von uns."
    „Ich verstehe", sagte Anthony Montfort laut, und alle drehten sich verwundert nach ihm um.
    „Böses tun, weil es Spaß macht", sagte der Junge.
    „Ja, Tony", sagte seine Schwester freundlich und lächelte ihm zu. „Weil es Spaß macht. Trinken wir den Kaffee im Arbeitszimmer! Das Feuer im Kamin dort brennt."
    In der Kammer oben glühte die nackte Birne in der Luft: ein trüber Mond. Es roch nach Ebbe und Kriechtieren. Einmal hörte er ganz schwach Gelächter, und Daniel Blank überlegte, ob es wohl Tony sei, der da lachte, und warum er es tat.

    Sie lagen unbekleidet da und starrten einander durch die dunklen Sonnenbrillen an, die sie besorgt hatte. Das heißt: Er starrte -aber sie auch? Er konnte es nicht sagen. Aber wie dem auch sei: Blinde Augen blickten blinde Augen an, Scheiben von Schwarz vor weißer Haut. Wieder spürte er die Beseligung, die ihn erschauern ließ: Es war das Mysterium.
    Langsam ging ihr Mund auf, ihre lange Zunge glitt heraus und lag dann schlaff zwischen trockenen Lippen. Waren ihre Augen geschlossen? Sah sie die Wand an? Er mühte sich, genauer hinzusehen, und entdeckte hinter dem dunklen Glas einen fernen Glanz. Eine ihrer Hände wand sich wurmgleich zwischen ihren Schenkeln, und ein winziges Speichelbläschen erschien in einem Mundwinkel. Er hörte sie atmen.
    Er drängte sich an sie. Sie wich zurück und murmelte etwas. Einiges von dem, was sie sagte, verstand er, doch vieles blieb für ihn ein Rätsel. „Was ist? Was ist?" wollte er fragen, doch tat er es nicht aus Angst, die Antwort könnte belangloser sein, als er hoffte. So schwieg er und lauschte ihrem Gemurmel, fühlte, wie ihre Fingerspitzen an seiner zuckenden Haut zupften.
    Die schwarzen Deckel ihrer Augen wurden zu Höhlen, Schächte, die durch Fleisch, Knochen, Pritsche,

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