Die erste Todsuende
schmale Taille trug. Sie biß ihn. Er dachte, sie sei verrückt vor Liebe zu ihm, doch als er die Arme nach ihr ausstreckte, war sie nicht da.
Er wußte, was geschah, aber es machte ihm nichts aus. Nur sie war wichtig. Sie las ihm ein Gedicht in einer Sprache vor, die er nicht verstand, dann leckte sie ihm die Augen. Eines Nachts versucht er, ihr einen Kuß zu geben - einen unschuldigen Kuß auf die Wange, einen Begrüßungskuß - und sie schlug ihm die geballte Faust ans Kinn. Im nächsten Augenblick war sie auf den Knien und nestelte seinen Hosenschlitz auf.
Ihre Monologe nahmen und nahmen kein Ende. Sie konnte stundenlang schweigen und dann über Sünde und Liebe an ihn hinpredigen, über das Böse und die Götter, und warum Sex über das Sexuelle hinausgehen müsse. Richtete sie ihn ab? Schulte sie ihn? Er hielt das für möglich und lernte.
Dann blieb sie für fast eine Woche verschwunden. Nach ihrer Rückkehr führte er sie zum Abendessen aus, doch es wurde kein schöner Abend daraus. Sie war wortkarg und in sich gekehrt. Nur ein einziges Mal sah sie ihn direkt an. Gleich darauf schlug sie die Augen nieder und berührte mit dem Mittelfinger der rechten Hand das weiße Tischtuch, strich darüber hin und streichelte es liebevoll.
Sie nahm ihn mit zu sich, und er stieg folgsam hinter ihr her die spinnwebverhangene Stiege hinauf. In der Dachkammer, nackt unter dem grellen orangefarbenen Licht stehend, zeigte sie ihm die afrikanischen Masken.
Und dann sagte sie ihm, was er für sie tun solle.
6
Handbreit um Handbreit arbeitete Daniel Blank sich den Kamin zum Teufelszahn hinauf. Er spürte die Kälte des Steins an seiner Schulter, an den Innenflächen seiner behandschuhten Hände und durch die schweren Bergschuhe hindurch. Es war dunkel im Spalt; die Kälte war feucht und roch nach Tod.
Vorsichtig schlängelte er sich bis zur Plattform hinauf. Tags zuvor hatte es leichtes Schneegestöber gegeben, und so erwartete er Eis. Stellenweise war auch eine dünne Schicht da, und nachdem er den Rucksack hochgehievt hatte, benutzte er den Eispickel, um das Eis abzukratzen und die Splitter über den Rand zu schieben. Dann konnte er sich in den steigeisenbewehrten Kletterschuhen aufrichten und sich forschend umblicken.
Der Himmel war finster, im Westen sah es nach mehr Schnee aus. Schmutzige Wolken hingen wie Schaum vor der Sonne; der Wind wehte ohne Unterlaß und ging ihm durch und durch. Dies würde bis zum Frühjahr sein letzter Aufstieg sein. Nach Thanks-giving Day, dem letzten Donnerstag im November, wurde der Park geschlossen; es gab hier keine Skipisten, und im Winter waren die Felsen zu gefährlich.
Er saß auf dem Stein, verzehrte ein Zwiebel-Sandwich und trank einen Becher Kaffee, der im selben Moment zu gefrieren schien, da er ihn einschenkte. Er hatte eine Taschenflasche Kognak mitgebracht und nahm kleine Schlucke daraus. Wärme breitete sich in ihm aus wie frisches Blut, und er dachte an Celia.
Auch sie pulsierte in ihm wie frisches Blut; etwas schmolz in seinem Herzen, in seinen Eingeweiden, seinen Lenden. Sie war es, die ihn zum Schmelzen brachte - und nicht nur sein Fleisch. Er spürte ihre Hitze in jedem wachen Gedanken, in seinen gedrängten Träumen. Seine Liebe zu ihr hatte ihn bewußt, hatte ihn empfänglich gemacht für eine Welt, die es für andere gab und deren Vorhandensein er früher nicht einmal geahnt hatte.
Er war ein Einzelkind gewesen, in einem Haus aufgewachsen, das nach Desinfektionsmitteln und dem Gin seiner Mutter roch. Sein Vater erfreute sich eines bescheidenen Wohlstands, von einer Tante geerbt, und arbeitete in einer Bank. Seine Mutter trank und sammelte Lalique-Glas. Das war in Indiana gewesen.
Es war ein schweigendes Haus, und wenn Daniel in späteren Jahren versuchte, sich daran zu erinnern, stellte er sich absurderweise das ganze Haus gekachelt vor: Wände, Fußböden, Decken, alles mit weißen Kacheln bedeckt, Emaille auf Stahl, genauso wie ein blinkender U-Bahn-Tunnel, der kein Ende nahm und ins Nichts führte. Vielleicht war das bloß ein Traum, an den er sich erinnerte.
Er war immer ein Einzelgänger gewesen; seine Eltern hatten ihn nie auf den Mund geküßt, sondern immer die Wange hingehalten. Weiße Kacheln. Seine glücklichste Kindheitserinnung galt einem Geburtstagsgeschenk, das er von einem farbigen Hausmädchen bekommen hatte: ein Schaukasten für seine Gesteinssammlung. Ihr Mann hatte ihn aus einer alten Apfelsinenkiste gebastelt, das rohe Holz sorgfältig
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