Die erste Todsuende
bedeutete.
Lektüre und Essen waren gleichzeitig beendet. Alle Ärzte schienen einer Meinung. Er mixte sich noch einen Whisky und schickte sich dann an, im Unterhemd durch das leere Haus zu wandern.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war dies das erste Mal, daß er und seine Frau nicht unter demselben Dach schliefen. Er kam sich verlassen vor, und in all diesen abgedunkelten Räumen spürte er ihre Gegenwart und verlangte es ihn nach ihr: ihrem Anblick, ihrer Stimme, ihrem Duft, ihrem Lachen, dem Schlurfen der Hausschuhe... danach, sie zu berühren.
Langsam stieg er die Treppe zu den leeren Schlafzimmern hinauf. Für sie beide allein war das Haus zu groß, daran konnte es keinen Zweifel geben. Und dennoch... Da war der Türpfosten, auf dem mit Bleistiftstrichen Lizas Größe markiert war. Die Treppe dort war Eddie einmal Hals über Kopf hinuntergefallen, er hatte sich das Kinn aufgeschlagen und doch keinen Mucks von sich gegeben. Und genau an dieser Stelle war einer seiner vielen Hunde zu Barbaras Entsetzen an einem heftigen Blutsturz verendet.
Viel war es wohl nicht, dachte er: weder erhabene Tragödie noch gewöhnliche Komödie, weder besondere Höhen noch besondere Tiefen, nur das stetige Verrinnen der Jahre. Die Zeit schliff ab, was etwa an Drama dagewesen sein mochte. Die Farben verblaßten mit der Zeit; die lauten Rufe erstarben. Doch das Bild - Goldton in Goldton -, der sanfte Glanz dessen, was geblieben war, war für ihn voller Bedeutung. Er strich durch die dämmerigen Korridore seines Lebens, hing tiefsinnigen Gedanken nach und nährte törichte Wünsche.
Dr. Sanford Ferguson war ein hochgewachsener Junggeselle, der knitterfreie Tweedanzüge mit Westen, Taschenuhr und Kette trug, wodurch er noch größer wirkte, als er war. Er hatte breite Schultern und einen mächtigen Brustkorb. Dick war er nicht, eher schon stämmig; seine Arme waren fleischig und muskulös.
Niemand zweifelte an seiner Klugheit. Auf Parties konnte er einen Witz nach dem anderen so gut erzählen, daß die Gesellschaft sich vor Lachen bog. Bei Ärztekongressen war er als Tischredner sehr gefragt. Er war ein begeisterter, wenn auch keineswegs überragender Golfspieler. Er besaß eine weiche Baritonstimme, konnte ein Soufflé backen und hatte, was kein Mensch wußte (selbst seine ältere, unverheiratete Schwester nicht), eine Geliebte: eine Negerin mittleren Alters, und mit ihr drei Söhne.
Außerdem war er, wie Delaney wußte, ein erfahrener und zynischer Polizeichirurg. Der gewaltsame Tod war ihm ein gewohnter Anblick, und er ließ sich nicht leicht über dessen Ursachen täuschen. In Personen, die „eines natürlichen Todes gestorben" waren, fand er das Arsen, und bei „Unglücksfällen" führten leicht zu übersehende Anhaltspunkte ihn zum eigentlichen Verursacher.
„Hier ist Ihr Whisky", sagte er und reichte Delaney ein hohes Glas. „Setzen Sie sich dorthin, seien Sie ganz still und lassen Sie mich lesen und verdauen."
Delaney nahm in einem Lehnsessel mit Schondecken Platz. Dr. Ferguson saß auf einem zierlichen Stuhl an einem schönen Queen-Anne-Schreibtisch. Stuhl und Tisch drohten unter seiner massigen Gestalt zusammenzubrechen. Er hatte den Wollbinder gelockert und den Hemdkragen geöffnet, so daß drahtiges Haar ins Freie sprang.
„Oho", kam es von Ferguson. „Mein alter Freund Bernardi."
„Sie kennen ihn?" fragte Delaney verwundert.
„Das kann man wohl sagen."
„Was halten Sie von ihm?"
„Als Arzt? Ausgezeichnet. Als Mensch? Ein Schwein. Jetzt aber Ruhe."
Schweigen.
„Kennen Sie jemand von den anderen?" fragte Delaney schließlich. „Von den Spezialisten, die er zugezogen hat?"
„Ich kenne zwei Von den fünfen — den Neurologen und den Röntgenologen. Die gehören zu den besten Leuten in der Stadt. Das muß Sie ja ein Vermögen kosten. Wenn die anderen drei auch so begabt sind, ist Ihre Frau in guten Händen. Ich kann mich erkundigen. Und jetzt seien Sie bitte ruhig."
Schweigen.
„Nun ja!" Ferguson zuckte mit den Achseln. „Nierensteine. Das ist nicht weiter schlimm."
Er sah sich alle Gutachten sehr genau an und blätterte gelegentlich zurück, um Dinge mit Einzelheiten in anderen Gutachten zu vergleichen. Auf die Röntgenaufnahmen warf er nicht einmal einen Blick. Zuletzt stemmte er sich vom Tisch ab, goß sich noch einen riesigen Kognak ein und schenkte dem Captain Whisky nach.
„Nun?" fragte Delaney.
„Edward", begann Ferguson und runzelte die Stirn. „Ziehen Sie mich nicht hinzu. Und
Weitere Kostenlose Bücher