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Die erste Todsuende

Die erste Todsuende

Titel: Die erste Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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nicht zusammen, und der Haken am hochgeschlossenen Uniformkragen war abgerissen. Seinen Schuhen fehlte der Glanz, und wenn er zum Dienst erschien, hatte er an den Ohren oft noch getrockneten Rasierschaum.
    Als junger Streifenpolizist hatte er in Notwehr einen Einbrecher niederschießen müssen. Seither trug er stets eine ungeladene Pistole bei sich. Er bildete sich ein, niemand wüßte das, dabei war es kein Geheimnis. Wie Captain Delaney seiner Frau erzählt hatte, erledigte er seinen Papierkram tadellos und verfügte über ausnehmend gute Rechtskenntnisse. Er war schlampig, doch wenn einer der Männer vom 251. Revier persönliche Probleme hatte, wandte er sich an ihn. Polizisten, die im Dienst ihr Leben ließen, durften darauf rechnen, daß er zu ihrer Beerdigung kam. Dabei trug er dann eine saubere Uniform und weinte.
    „Vielen Dank, Lieutenant", sagte Delaney steif. „Ich werde mich melden, sobald es geht. Auf jeden Fall bin ich bestimmt wieder zurück, ehe Sie nach Hause gehen. Falls aber doch nicht, warten Sie nicht auf mich. Ist das klar?"

    „Jawohl, Captain."
    Dr. Louis Bernardi, zu diesem Schluß war Delaney gelangt, war durchaus fähig, einem Sterbenden die Hand zu halten und ihm Mut zuzusprechen. Jetzt reihte er die Röntgenbilder auf, als ob sie Rembrandt-Radierungen wären.
    „Die Schatten!" rief er. „Sehen Sie die Schatten!"
    Er hatte seinen Stuhl nahe an Barbara Delaneys Bett gezogen. Der Captain stand wie benommen auf der anderen Seite und hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt, damit niemand ihr Zittern sah.
    „Was haben sie zu bedeuten?" fragte er mit rauher Stimme.
    „Was ist das?" fragte seine Frau.
    „Nierensteine!" frohlockte Bernardi. „Jawohl, meine teure Mrs. Delaney", wandte er sich an die Frau im Krankenbett, die ihn verschlafen und mit wiegendem Kopf ansah, „diese Möglichkeit hat immer bestanden: ein störrisches Fieber und Schüttelfrostanfälle. Und dann seit kurzem die Kopfschmerzen, die Übelkeit, die Schwierigkeiten beim Wasserlassen, der Schmerz im Lumbaibereich. Heute morgen, nach über zehn Tagen gründlicher Untersuchungen, haben wir eine Besprechung abgehalten -alle Ärzte, die sich mit Ihnen beschäftigten — und sind uns alle einig in der Meinung, daß Sie bedauerlicherweise Nierensteine haben."
    „Wie komme ich denn zu Nierensteinen?"
    Der Arzt lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte wie üblich die Zeigefinger an die Wulstlippen.
    „Wer kann das sagen?" fragte er leise. „Ernährungsweise, Stress, vielleicht eine Prädisposition, Vererbung. Es gibt soviel, was wir nicht wissen. Wenn wir alles wüßten, würde das Leben doch langweilig sein, finden Sie nicht?"
    Delaney knurrte angewidert. Bernardi achtete nicht darauf.
    „Auf jeden Fall lautet unsere Diagnose: Nierensteine. Eine mineralische Ablagerung, wie sie sich häufig in der Blase oder den Nieren findet. Ein harter, unorganischer Stein. Manche sind nicht größer als ein Stecknadelkopf, andere dagegen ziemlich groß. Es sind Fremdkörper, in lebendes Gewebe eingebettet. Daher das Fieber, der Schüttelfrost, die Schmerzen. Und selbstverständlich die Schwierigkeiten beim Wasserlassen. O ja, die vor allem."
    Wieder einmal war Delaney erbost über die Selbstzufriedenheit dieses Mannes. Für Bernardi war das Ganze nichts weiter als ein Kreuzworträtsel aus der Times.
    „Wie ernst ist das?" fragte Barbara kaum hörbar.
    Ein Schleier schien sich über Bernardis trübe Augen zu legen, eine milchige, durchscheinende Schicht. Zwar konnte er nach draußen sehen, doch in ihn hineinsehen konnte keiner.
    „Was wir brauchten, waren die Blutuntersuchungen und diese Röntgenbilder. Und da wir Sie hier beobachten konnten, gaben uns die aufgetretenen Symptome weitere Fingerzeige. Jetzt wissen wir, was wir vor uns haben."
    „Wie ernst ist es?" fragte Barbara abermals, diesmal allerdings mit größter Entschlossenheit.
    „Wir sind der Meinung", fuhr Bernardi fort, ohne auf sie einzugehen, „wir sind der Meinung, daß in Ihrem Fall, meine liebe Mrs. Delaney, eine Operation angezeigt ist. Da führt kein Weg dran vorbei. Tut mir leid, daß ich das sagen muß. Es ist keine besonders ernsthafte Operation. Sie wird in jeder Klinik überall im Land häufig vorgenommen. Allerdings ist jeder chirurgische Eingriff mit einem Risiko verbunden, selbst das Aufschneiden eines Furunkels. Das verstehen Sie gewiß. Chirurgische Eingriffe sollte man nie auf die leichte Schulter nehmen."
    „Wir nehmen ihn nicht auf die

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