Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
plötzlich ins Gesicht. Sie sagte hastig und atemlos:
»Ich bin zu Ihnen gekommen, weil der Mann, mit dem ich seit über einem Jahr verlobt war, die Verlobung aufgelöst hat.«
Sie hielt inne und sah ihn trotzig an.
»Sie müssen mich für komplett verrückt halten.«
Hercule Poirot schüttelte langsam den Kopf.
»Im Gegenteil, Mademoiselle, ich zweifle nicht im Geringsten, dass Sie außergewöhnlich klug sind. Es ist nicht mein métier, entzweite Liebende zu versöhnen, und ich weiß sehr gut, dass Sie sich dessen bewusst sind. Daher ist an der Auflösung dieser Verlobung etwas Außergewöhnliches, nicht wahr?«
Das Mädchen nickte.
»Hugh hat unsere Verlobung gelöst, weil er glaubt, dass er im Begriff ist, wahnsinnig zu werden. Er findet, dass Wahnsinnige nicht heiraten sollen«, erklärte sie atemlos.
Hercule Poirots Augenbrauen hoben sich ein wenig. »Und sind Sie nicht auch dieser Meinung?«
»Ich weiß nicht… Was ist ›verrückt sein‹ überhaupt? Jedermann ist ein wenig verrückt.«
»Das sagt man«, stimmte Poirot vorsichtig zu.
»Erst wenn man anfängt, sich für ein pochiertes Ei zu halten, muss man eingesperrt werden.«
»Und Ihr Verlobter hat dieses Stadium nicht erreicht?«
»Ich kann überhaupt nichts Abnormales an Hugh finden«, erwiderte Diana Maberly. »Er – oh, er ist der vernünftigste Mensch, den ich kenne. Vernünftig, verlässlich – «
»Warum glaubt er dann, dass er verrückt wird?« Poirot machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr. »Ist vielleicht Wahnsinn in der Familie?«
Diana nickte bejahend:
»Sein Großvater war nicht normal – glaube ich«, erklärte sie widerstrebend, »und irgendeine Großtante. Aber in jeder Familie ist doch irgendjemand verdreht. Unter- oder überbegabt oder irgendetwas, nicht wahr?«
Sie sah ihn mit flehenden Augen an.
Hercule Poirot schüttelte traurig den Kopf und meinte:
»Es tut mir furchtbar Leid für Sie, Mademoiselle.«
Sie streckte das Kinn in die Luft.
»Ich will nicht, dass Sie mich bedauern! Ich will, dass Sie etwas tun!«
»Was soll ich tun?«
»Ich weiß nicht – aber irgendetwas stimmt nicht.«
»Sagen Sie mir bitte alles über Ihren Verlobten, Mademoiselle.«
Diana sprach hastig:
»Sein Name ist Hugh Chandler, vierundzwanzig Jahre alt. Sein Vater ist Admiral Chandler. Sie leben in Lyde Manor, einer Besitzung, die seit der Zeit von Königin Elisabeth I. Eigentum der Familie ist. Hugh ist der einzige Sohn. Er ging zur Marine – alle Chandlers sind Seeleute, es ist eine Art Tradition, seit Sir Gilbert Chandler im Jahre fünfzehnhundert und etwas mit Sir Walter Raleigh auf den Meeren segelte. Hugh ging selbstverständlich zur Marine; sein Vater hätte nichts anderes geduldet. Und doch – und doch hat sein Vater darauf bestanden, dass er den Dienst quittiert!«
»Wann war das?«
»Vor fast einem Jahr. Ganz plötzlich.«
»War der junge Chandler in seinem Beruf glücklich?«
»Vollkommen.«
»Hat es irgendeinen Skandal gegeben?«
»Im Zusammenhang mit Hugh? Keineswegs. Er kam glänzend vorwärts. Er – er konnte seinen Vater nicht verstehen.«
»Welche Gründe gab Admiral Chandler selbst an?«
»Er gab nie einen triftigen Grund an. Er sagte, Hugh müsse lernen, das Gut zu verwalten – aber das war nur ein Vorwand«, klagte Diana. »Sogar George Frobisher hat das bemerkt.«
»Wer ist George Frobisher?«
»Colonel Frobisher. Er ist Admiral Chandlers bester Freund und Hughs Taufpate. Er verbringt den größten Teil des Jahres in Lyde Manor.«
»Und was sagte Colonel Frobisher zu Admiral Chandlers Entschluss, dass sein Sohn den Dienst bei der Marine aufgeben sollte?«
»Er war sprachlos. Er konnte es nicht fassen. Niemand konnte es fassen.«
»Nicht einmal der junge Chandler selbst?«
Diana antwortete nicht gleich. Poirot wartete einen Augenblick, dann fuhr er fort:
»Damals war er vielleicht auch verblüfft. Aber jetzt? Hat er nichts gesagt – gar nichts?«
»Er sagte – vor ungefähr einer Woche –, sein Vater habe Recht gehabt, es sei das einzig Mögliche gewesen«, murmelte Diana widerstrebend.
»Haben Sie ihn gefragt, warum?«
»Natürlich, aber er wollte es mir nicht sagen.«
Hercule Poirot überlegte eine Weile. Dann forschte er weiter:
»Sind in Ihrer Gegend irgendwelche ungewöhnlichen Dinge vorgefallen? Ich meine, vor ungefähr einem Jahr? Irgendetwas, das in der Gegend zu Gerede und Vermutungen Anlass gegeben hätte?«
Sie fuhr auf: »Ich weiß nicht, was Sie sagen wollen!«
Poirot
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