Die ersten und die letzten Arbeiten des Herkules
Unruhe, Nervosität und Reizbarkeit des anderen aufgefallen – alles Anzeichen großer innerer Anspannung. Bei Admiral Chandler spürte er Hoffnungslosigkeit und abgrundtiefe Verzweiflung…
Chandler sagte mit einem tiefen Seufzer: »Ich bedaure, dass Diana Sie in die Sache hineingezogen hat… Armes Kind, ich weiß, wie hart es für sie ist. Aber – nun – es ist unsere eigene Familientragödie, und ich glaube, Sie werden begreifen, Monsieur Poirot, dass wir keine Outsider wünschen.«
»Ich kann Ihre Gefühle sehr gut verstehen.«
»Diana, das arme Kind, kann es nicht glauben. Ich konnte es zuerst auch nicht. Ich würde es jetzt wahrscheinlich auch nicht glauben, wenn ich nicht wüsste – «
Er stockte.
»Was wüsste?«
»Dass es im Blut steckt. Die Krankheit, meine ich.«
»Und doch haben Sie der Verlobung zugestimmt.«
Admiral Chandler wurde rot.
»Sie meinen, ich hätte schon damals mein Veto einlegen sollen? Aber damals hatte ich noch keine Ahnung. Hugh schlägt seiner Mutter nach – nichts an ihm erinnert an die Chandlers. Ich hoffte, er sei in allem nach ihr geraten. Von seiner Kindheit bis letztes Jahr war keine Spur von etwas Anomalem an ihm. Ich konnte nicht ahnen, dass – zum Teufel, in fast jeder alten Familie ist eine Spur irgendeiner Geisteskrankheit!«
Poirot fragte leise: »Haben Sie keinen Arzt konsultiert?«
Chandler brüllte: »Nein, und ich habe auch nicht die Absicht, es zu tun! Der Junge ist hier sicher genug mit mir als Aufsicht. Sie werden ihn nicht wie ein wildes Tier zwischen vier Wänden einsperren…«
»Er ist hier sicher, sagen Sie. Aber sind die anderen sicher?«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Poirot antwortete nicht. Er blickte dem Admiral fest in die melancholischen dunklen Augen.
»Jedermann steckt in seinem Beruf«, meinte der Admiral voller Bitterkeit. »Sie suchen einen Verbrecher. Mein Sohn ist kein Verbrecher, Monsieur Poirot.«
»Noch nicht!«
»Was meinen Sie mit ›noch nicht‹?«
»Diese Dinge werden immer schlimmer… Diese Schafe – «
»Wer hat Ihnen das von den Schafen gesagt?«
»Diana Maberly und auch Ihr Freund, Colonel Frobisher.«
»George hätte besser daran getan, den Mund zu halten.«
»Er ist ein sehr alter Freund von Ihnen, nicht wahr?«
»Mein bester«, sagte der Admiral barsch.
»Und er war auch ein Freund – Ihrer Gattin?«
Chandler lächelte. »Ich glaube, George war in Caroline verliebt, als sie ganz jung war. Er hat nie geheiratet. Ich glaube, das ist der Grund. Nun, ich war der Glückliche – oder so dachte ich. Ich habe sie heimgeführt, nur um sie zu verlieren.«
Er seufzte und ließ die Schultern hängen.
»Colonel Frobisher war bei Ihnen, als Ihre Frau ertrank?«, forschte Poirot weiter.
Chandler nickte.
»Ja, er war mit uns in Cornwall, als es geschah. Sie und ich waren zusammen mit dem Boot draußen – er war an diesem Tag zufällig zu Hause geblieben. Ich habe nie begriffen, wieso dieses Boot kenterte… Es muss plötzlich ein Leck bekommen haben. Wir waren draußen in der Bucht – bei starker Flut. Ich hielt sie empor, so lange ich konnte…« Seine Stimme brach. »Ihre Leiche wurde zwei Tage später angeschwemmt. Gottlob hatten wir den kleinen Hugh nicht mitgenommen! So dachte ich wenigstens damals. Und – jetzt wäre es für Hugh vielleicht besser gewesen, wenn er doch mit uns gewesen wäre. Wenn damals alles aus und erledigt gewesen wäre – «
Wieder entrang sich ihm ein tiefer, hoffnungsloser Seufzer.
»Wir sind die letzten Chandlers, Monsieur Poirot; nach uns wird es in Lyde Manor keine Chandlers mehr geben. Als Hugh sich mit Diana verlobte, habe ich gehofft – nun, es hat keinen Sinn, jetzt davon zu sprechen. Gott sei Dank, dass sie nicht schon verheiratet waren. Mehr kann ich nicht sagen!«
Hercule Poirot saß auf einer Bank im Rosengarten. Neben ihm saß Hugh Chandler. Diana Maberly hatte sie eben verlassen.
Der junge Mann wandte Poirot sein schönes, gequältes Gesicht zu.
»Sie müssen es ihr begreiflich machen. Monsieur Poirot.«
Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort:
»Wissen Sie, Di ist eine Kämpferin. Sie will das Spiel nicht aufgeben. Sie will sich nicht mit dem Unabänderlichen abfinden. Sie wird es wohl oder übel müssen. Sie – sie will weiter glauben, dass ich – geistig normal bin.«
»Während Sie selbst fest überzeugt sind, dass Sie – verzeihen Sie mir – wahnsinnig sind.«
Der junge Mann zuckte zusammen und führte aus:
»Ich habe noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher