Die Erwaehlten
die blaue Zeit anrollt. Jedenfalls sicherer als dieses Zimmer.“
Jessica sah sich um. Die Vorstellung, dass ihr Zimmer nicht absolut sicher war, machte sie sichtlich unglücklich. „Bleibt nur noch ein Problem: Wie komme ich dahin?“, sagte sie.
„Das haben wir auch schon geklärt“, antwortete Rex. „Du kannst deinen Eltern sagen, dass du bei Dess übernachtest. Sie wohnt näher an den Badlands. Du schleichst raus und kommst an, bevor …“
„Vergiss es.“
„Warum?“, fragte Rex.
„Ich kann bei niemandem übernachten, jedenfalls einen Monat lang nicht. Ich hab Hausarrest. Unwiderruflich.“
„Oh.“ Rex sah so aus, als hätte er nicht damit gerechnet, dass derart profane Dinge seine Pläne durchkreuzen könnten. „Also, wenn du allein abhaust, kann dich Melissa abholen und …“
„Nein.“ Jessica sagte das Wort ohne Zögern. „Ich habe meine Eltern genug belogen. Vergiss es.“
Rex starrte sie an.
Dess hätte für ihr Leben gern ohne Rex mit Jessica geredet. Was war gestern Nacht passiert? Sie fragte sich, ob Jess’ Hausarrest irgendwas mit Jonathan zu tun hatte.
„Ich will damit sagen“, fuhr Jessica fort, „dass ich kein Problem damit habe, in der geheimen Stunde abzuhauen, aber in der normalen Zeit werde ich dieses Haus nicht verlassen. Wenn meine Eltern davon was merken würden, wären sie ernsthaft enttäuscht. Ich will ihnen das nicht noch einmal antun.“
„Willst du einen ganzen Monat warten?“, warf Rex ein. „Falls sie so verängstigt sind, wie sie wirken, könnten die Darklinge ziemlich bald eine wirklich heftige Aktion starten.“
„Wie weit ist es bis zu diesem Ort?“, fragte Jessica.
„Es ist ziemlich weit draußen“, antwortete Rex. „Sogar von Dess aus schafft man es mit dem Rad hin und zurück nur knapp in einer Stunde.“
„Wie wäre es mit Fliegen?“
Rex fiel die Kinnlade runter. Dann sah er Dess böse an. Sie breitete mit hochgezogenen Schultern die Hände aus. Unmöglich, den Vorwürfen zu entkommen. Rex wusste, dass Melissa Jonathan niemals verraten hätte, wo Jessica wohnte. Wenn also Dess nicht geplappert hätte, wäre Jonathan niemals auf die Idee gekommen, dass sich ein neuer Midnighter in der Stadt aufhielt. Sie versuchte es mit einem Unschuldsblick.
Aber innerlich lächelte Dess. Rex musste gelegentlich daran erinnert werden, dass ihn niemand zum Seher gewählt hatte.
Er riss sich zusammen und wandte sich wieder an Jessica.
„Das ist zu gefährlich. Ihr beide allein, draußen in den Badlands – du würdest direkt in eine Todesfalle fliegen.“
„Stimmt“, gab Jessica zu, „gestern Nacht ging es ziemlich übel zu. Und wir hatten die Stadtgrenze kaum hinter uns gelassen.“
„Ihr wart hinter der …?“ Rex schnaubte schon wieder, hielt sich aber zurück. „Wir werden uns was anderes einfallen lassen“, sagte er. „Eine Möglichkeit, dich vor Mitternacht dahin zu schaffen.“
„Wo genau ist diese Lehrstätte eigentlich?“, fragte Jessica.
Dess beobachtete Rex genau und glaubte eine heimliche Genugtuung zu entdecken, als er antwortete. Jetzt wusste er noch einen Grund, weshalb Jessica Day vor der Midnight Angst haben sollte.
„Man nennt sie die Schlangengrube.“
berüchtigt
11.06 Uhrmorgens
18
Am Montagmorgen sprach sich schnell herum, wo Jonathan das übrige Wochenende zugebracht hatte. Jessica glaubte es erst nicht – es hörte sich zu sehr nach Gerücht an, um wahr zu sein –, aber sein leerer Platz und die Blicke in der Physikstunde nach der Pause sprachen Bände.
Es stimmte. Er saß im Gefängnis, und sie allein war daran schuld.
Etliche Versionen kursierten, aber alle schienen zu wissen, dass Jonathan in Begleitung von Jessica Day geschnappt worden war. In Windeseile war aus dem neuen Mädchen das schlechte Mädchen geworden. Die meisten Leute schienen erstaunt, Jessica hier in der Schule zu sehen, als ob sie damit gerechnet hätten, dass sie ebenfalls in einer Zelle vor sich hinmodern würde. Überall, wo sie auftauchte, entstand Unruhe, weil jeder (außer den wenigen harmlosen Lehrern, die gegen Klatsch immun waren) wissen wollte, was passiert war.
Dankbarerweise tauchte Constanza auf, um sie zu retten. Sie begleitete Jessica bei ihren Vormittagskursen und brachte sie auf den neusten Stand.
„Es ist so: Die Tante oder Mutter von jemandem arbeitet als Abteilungsleiterin oder Stellvertreterin im Büro des Sheriffs und war Samstagnacht da, als Jonathan abgeführt wurde. Neuigkeiten verbreiten sich
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