Die Erwaehlten
Schrecken der Nacht – auf all das folgte endlich …
Stille.
„Uff“, sagte sie. „Das tut gut.“
Sie schmeckte, wie Rex lächelte.
All seine Gedanken lagen jetzt offen vor ihr. Seine Erleichterung, dass sie heil in der blauen Zeit angekommen waren, für den Arm des Gesetzes unerreichbar, und seine grimmige Entschlossenheit, den Job hinter sich zu bringen. Sie schmeckte sogar das winzige, sorgsam durchgekaute Eckchen Schuld, weil sie so weit gingen.
„Keine Sorge. Wenn sie’s nicht wissen, tut es ihnen nicht weh.“
„Sag mir einfach, wenn du meinst, dass du zu tief reingehst.“
„Du wirst es als Erster erfahren.“
Sie stiegen aus dem Auto, Melissa spürte schnell die Gegend ab. Bis jetzt rührte sich nichts, es war aber auch noch früh. Wesen, die in der blauen Zeit lebten, würden den Tag nicht so weit in der Stadtmitte verbringen.
Rex’ Augen blitzten, während er nach Zeichen suchte.
„Das müsstest du sehen, Melissa. Die sind hier überall rumgekrochen. Jede Nacht mehr.“
„Wie gut, dass Jessica selten zu Hause war.“
Rex’ Verärgerung fuhr knisternd durch die Luft, ein vorhersagbares Ergebnis beim kleinsten Hinweis auf Jonathan Martinez. Wenigstens war es keine Eifersucht. Davon bekam sie an der Bixby High mehr als genug. Nur Rex’ gekränkte Eitelkeit als Seher, weil er die geheime Stunde nicht komplett kontrollieren konnte.
Kurz darauf spürte Melissa, wie er das Gefühl niederschlug. „Stimmt, so ist der Typ schließlich doch noch zu was zu gebrauchen“, murmelte er.
Sie schlichen durch einen Hinterhof und versteckten sich im Gebüsch auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
„Kommt er?“
Melissa tauchte tiefer in die Nacht ein, und aus allen Ecken der Midnight kamen Geschmacksbrocken auf sie zu. Jessica war ganz nah, gespannt wartend in ihrem Zimmer. Dess war noch zu Hause, wo sie zufrieden mit Spielereien hantierte. Die Gleiter rumorten am Rande von Bixby, mit jeder Nacht in diesen Tagen aufgeregter.
Und vom anderen Ende der Stadt bewegte sich etwas rasch auf sie zu.
„Ist unterwegs.“
Sie duckten sich tiefer in die Büsche.
Wenige Minuten später landete Jonathan.
Es war ein Jahr her, seit sie ihn in Aktion gesehen hatte, überlegte Melissa. Sie erinnerte sich jetzt, wie elegant er sich abwärts schraubte, um weich auf einem Fuß zu landen, geräuschlos und wie in Zeitlupe. Vielleicht würde sie nie mit Jonathan fliegen, aber Melissa konnte schmecken, wie er sich freute, wenn er einfach nur flog.
Rex ließ sich neben ihr für kurze Zeit zu stiller Bewunderung hinreißen.
„Hi!“, rief Jonathan Jessica in ihrem Zimmer zu.
„Dir auch hi.“ Jessica kroch aus dem Fenster, rannte auf ihn zu und griff nach seinen beiden Händen.
Melissa konnte nicht hören, was sie dann sagten, aber sie schmeckte, was zwischen ihnen ablief, Klischees und Daylight: Jessica Vanilla. Die beiden redeten, total aufeinander fixiert, ein Darkling hätte sie einfach einpacken können. Eine volle Minute später drehten sich beide um, bis sie in die gleiche Richtung sahen. Seite an Seite, Hand in Hand, beugten sie ihre Knie und sprangen in müheloser Koordination, fast wie ein einziges Wesen.
Zwei Sekunden später waren sie hinter den Bäumen verschwunden.
„Reizendes Pärchen“, sagte Melissa und wand sich aus dem Gebüsch.
Als sie die Straße überquerten, sah Rex nervös zum Himmel auf.
„Entspann dich, sie sind schon fast im Stadtzentrum.“ In den vergangenen beiden Nächten hatte Melissa sie nahe am Stadtkern aufgespürt, vermutlich auf den hohen Gebäuden, die es dort gab, weit weg vom Land der Darklinge und mit freiem Blick in alle Richtungen. Jessica war bei Jonathan viel sicherer als zu Hause, das musste sogar Rex zugeben.
Die Haustür war abgeschlossen.
„Verfluchtes Stadtvolk“, schimpfte Melissa. Sie gingen zu Jessicas offenem Fenster.
„Du hast ja verdammt gute Laune“, sagte Rex.
Sie zog sich hoch und durch das Fenster, wo sie Jessicagedanken schmeckte, die noch im Zimmer hafteten. Sie streckte eine Hand aus, um Rex hinaufzuhelfen, und sah, wie er automatisch zurückzuckte, bis ihm einfiel, dass sie Handschuhe trug.
„Ich hab in der blauen Zeit immer gute Laune“, antwortete Melissa, als er drinnen war. „Vor allem, wenn ich was Kompliziertes lesen muss.“
Rex dünstete einen scharfen Geschmack nach Angst aus.
Sie seufzte. „Keine Sorge, ich verspreche, dass es mir nicht zu viel Spaß machen wird.“
„Fang einfach gar nicht erst an, Spaß
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