Die Erwaehlten
Jonathan an, versuchte zu ergründen, was er dachte. Er sah müde, aber entspannt aus, erleichtert, sie zu sehen. Sein Haar war ein bisschen feucht, vermutlich hatte er gerade geduscht. Jessica überlegte, ob er nur wegen ihr zur Schule gekommen sein könnte, und ihr Strahlen wurde breiter.
„Was ist passiert?“
„St. Claire, der Sheriff hier in Bixby, wollte ein Exempel statuieren“, sagte Jonathan. „Keine große Sache. Er hat meinen Dad zu dieser Aktion überredet, dass sie mich das ganze Wochenende einsperren, bis er mich am Montagmorgen rausholt. Das Ganze war aber nur ein Witz. Sie haben mich gar nicht verhaftet, nicht richtig. Ich bin nur in Gewahrsam genommen worden.“
Jessica schauderte. Sie hatte sich den ganzen Tag vorgestellt, wie er „in Haft“ saß. Keines der Bilder in ihrem Kopf hatte tröstlich ausgesehen.
„Wie war es?“
Jonathan schauderte. „Total ohne Himmel. Und nicht genug zu essen. Bin in der geheimen Stunde dauernd an die Decke geknallt. Aber ansonsten hat es vor allem … gestunken. Ich hab den ganzen Tag geduscht und mir die Entschuldigungen von meinem Dad angehört.“
„Es geht dir aber gut?“
„Logo. Und dir?“
Jessica machte den Mund auf, wollte Jonathan von Rex’ Plänen erzählen, ihm noch mehr Fragen über das Gefängnis stellen, über die Midnightgravitation, darüber, wie sie den Darklingen entkommen waren. Dann sah sie das Auto ihres Dads zwischen den Bussen und Kids herankriechen und entschied sich für eine Kurzfassung.
„Also, ich würde gern wieder fliegen.“ Sie lächelte hoffnungsvoll. Er lächelte zurück.
„Super. Wie wär’s mit heute Nacht?“
gedankenleserin
11.49 Uhr nachts
19
„Wogehtsurschdad?“
Melissa nahm eine Hand vom Lenkrad und deutete nach rechts, auf die große Masse schlafender Menschlichkeit. Die Innenstadt schmeckte rauchig und süß, pulsierte in langsamen und schalen Traumrhythmen, dazwischen ein paar scharfe Albträume wie Salzbrocken, die sich nicht auflösten. Einen positiven Aspekt gab es an Bixby: Die Leute gingen früh schlafen. An einem Mittwochabend fing der Lärm gegen zehn allmählich an sich zu legen, und bis halb zwölf waren die wenigen wachen Gedanken nicht mehr als nervig, wie summende Stechmücken, die man kaum wahrnahm.
Rex murrte, hielt die Karte ausgebreitet in beiden Händen und eine Taschenlampe zwischen den Zähnen. Es war seine Idee gewesen, heute Nacht mit dem Auto zu fahren.
„Ich weiß ,wie man hinkommt“, beschwerte sich Melissa. „Lass uns auf die Division fahren, wir haben nur noch zehn Minuten.“
„Wennunseineranhäld“, nuschelte er um die Taschenlampe herum.
Melissa seufzte.
Mit sechzehn saß sie in Oklahoma mit einer Sorte Führerschein fest, die ihr lediglich erlaubte, zur Schule und wieder nach Hause zu fahren. (Und zur Arbeit, falls jemals der unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass sie einen Job fand, der sie nicht in den Wahnsinn treiben würde.) Außerdem war es nach elf, weshalb Rex ultravorsichtig war und sie durch die Seitenstraßen lotste. Er wollte nicht, dass sie der Polizei über den Weg liefen, für den Fall, dass sich Sheriff St. Claire überlegt hatte, in Sachen Sperrstunde hart durchzugreifen.
Jonathans Ausflug in den Knast hatte Rex Angst gemacht. Irgendwie flößte ihm Clancy St. Claire mehr Angst ein als alles, was mit der Mitternachtsstunde zu tun hatte. Wenn es um fette, hässliche Sheriffs ging, gab es keine Lehre, auf die man sich berufen konnte.
Jonathans Verschwinden am Wochenende hatte auch Melissa aufgeschreckt, aber aus anderen Gründen. Am Sonntag hatte sie die ganze geheime Stunde auf dem Dach verbracht, wo sie hauptsächlich die zunehmenden Aktivitäten der Darklinge beobachtet und sich aber auch gewundert hatte, warum Jonathan nicht auftauchte. Normalerweise schmeckte sie ihn, wenn er durch die Gegend schoss. Er war leicht zu entdecken, schneller als alles andere im medialen Midnightterrain, sogar schneller als ein fliegender Darkling.
Seine Abwesenheit hatte sie mehr beunruhigt, als sie vermutet hätte. Als sie am Montagmorgen erfuhr, dass er nur im Knast gesessen hatte, umringt von undurchdringlichem Stahl, war sie erleichtert gewesen. Rex hatte zwar eine Sheriffphobie, aber es gab Schlimmeres als eine Verhaftung.
Sie feixte. Eine Nacht am Boden war für Jonathan vielleicht gar nicht schlecht. Diese Woche hatte er sich ein bisschen erbärmlicher angeschmeckt.
„Rechsab.“
Melissa bog rechts ab.
Allmählich erkannte sie die
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