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Die Erwaehlten

Die Erwaehlten

Titel: Die Erwaehlten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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durchdrehen. Sie musste herausfinden, wo das Zentrum der Midnight war. Wenn ihre Theorie stimmte, hatte sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wo sich die Linien kreuzen würden.
    Sie stand auf und schlich zur Tür, die sie einen Spalt öffnete. Das übliche Flackern des Fernsehers am Ende des Flurs fehlte, im Haus war es still. Dad musste morgen arbeiten wie an den meisten Wochenenden, weshalb ihre Eltern bereits im Bett lagen. Dess trat auf den Flur hinaus, vorsichtig ihr Gewicht um das längst erkannte Muster aus quietschenden Dielen herumlavierend, und bewegte sich langsam auf das Wohnzimmer zu. Sie ließ ihre Tür hinter sich offen stehen, um mit einem Ohr auf ein ungeduldiges Tappen am Fenster zu lauschen.
    Das hier war echt bescheuert, schoss es ihr durch den Kopf. Es hatte Zeit bis morgen. Sie waren spät genug dran, um auf elterliche Auseinandersetzungen verzichten.
    Trotzdem musste sie sicher sein.
    Dad bewahrte seine Karten in einem großen Schubladenkasten auf, der auch als Wohnzimmertisch diente. Dess kniete sich davor und zog die oberste Lade auf, dreißig Zentimeter weit. Hier gab es nur Mappen, Stifte und Müll. Eine tiefer fand sie Karten und dünnes Papier, das anfing sich aufzurollen, als sie die Schublade aufzog, schwarze Fingerabdrücke trug und den vertrauten Geruch von Oklahomas Rohöl verströmte.
    Sie hörte draußen ein Geräusch und erstarrte.
    Der Wagen fuhr vorbei, ratterte über die ungepflasterte Straße und in die Ferne hinaus.
    Im Licht der Straßenlaternen, das schräg zum Vorderfenster hineinschien, durchwühlte Dess die Karten, auf der Suche nach Koordinaten. Die Karten waren unglaublich detailliert, zeigten einzelne Häuser und Bohrinseln. Ihr fiel auf, dass sich ganz Bixby innerhalb eines Längen- und eines Breitengrades über etwa eine Meile erstreckte, die wiederum in kleinere Einheiten, genannt „Minuten“, unterteilt waren. Ihre Finger flogen, um den genauen Punkt zu finden.
    Die Karten lagen in keiner bestimmten Ordnung. „Danke, Dad“, flüsterte sie vor sich hin.
    Ein Geräusch drang aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern, und Dess schloss die Augen, ihr Herz hämmerte. Dad konnte es nicht ausstehen, wenn jemand seine Sachen anfasste. Licht ging aber nicht an, und allmählich senkte sich die Stille wieder über das Haus.
    Endlich wurde sie fündig.
    Dess zog die Karte vorsichtig heraus, ließ sie zusammenrollen und lief mit schnellen, leisen Schritten zurück in ihr Zimmer.
    Nach einem Blick aus dem Fenster auf die immer noch verlassene Straße rollte sie die Karte auf dem Boden aus und pinnte sie an vier Ecken mit Stahlstiften fest. Ihre zitternden Finger verfolgten die gepunkteten Linien bis zu ihrem Schnittpunkt.
    „Ich hab’s gewusst“, sagte sie.
    Sechsunddreißig Nord und Sechsundneunzig West lag genau in der Mitte von Rustle’s Bottom.
    Das konnte kein Zufall sein. Die Schlangengrube war exakt Darkling-Zentrum. Und wenn nicht mehr als ein bestimmter Längen- und Breitengrad nötig waren, dann gab es wahrscheinlich noch andere Orte auf der Welt, wo die blaue Zeit um Mitternacht kam.
    Unter ihrem Fenster hupte es.
    „Ihr sollt nicht hupen !“, zischte sie und schnappte sich ihren Matchbeutel. Volltrottel. Dess würde das vorerst für sich behalten. Sie konnte es selbst überprüfen. Wenigstens wollte sie dafür sorgen, dass Rex sich wünschte, er hätte mehr auf sie gehört.
    Bevor Dess sich aus dem Fenster zog, sah sie auf die Uhr: 11.24 Uhr.
    Sie würden es nicht rechtzeitig schaffen.
     

     

rustle’s bottom
    11.25 Uhr nachts
    24
    Die Party fing gerade erst an.
    Rustle’s Bottom war eine weite, flache Ebene, die sich so weit erstreckte, wie Jessica sehen konnte. Sie wirkte kahl und ohne Konturen bis hinaus in die Berge, die sich als Reihe niedriger Spitzen vage vor dem dunklen Horizont abzeichneten. Sie war vollständig verlassen, abgesehen von den Autos, die im fest verdichteten Dreck parkten. Dess hatte erklärt, es würde sich um den Grund eines Sees handeln, der vor hundert Jahren ausgetrocknet war. Jessica stampfte auf dem trockenen Boden. Nichts deutete darauf hin, dass es hier jemals etwas anderes als eine kalte, windige Wüste gegeben hatte.
    Sie duckte sich tiefer in ihr Jackett, das nicht annähernd so warm war wie ihr eigenes, das sie bei Constanza gelassen hatte. Hier draußen gab es nichts, was den Wind hätte abhalten können. In Oklahoma war es so windig, weil alles so flach war: Die Luft wurde einfach immer schneller, während sie sich

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