Die Erzaehlungen 1900-1906
legte ich mich hin, übersah die
fruchtbare Weite bis zum fernen runden Staufen hin, gab mich der Mittags-
sonne preis und war mit der schönen Welt und mit mir und allem von Herzen
zufrieden.
Es war gut, daß ich diesen Tag nach Kräften genoß, verträumte und versang.
Abends trank ich sogar im Adlergarten einen Schoppen vom besten alten
Roten.
Als ich tags darauf bei den Marmorleuten vorsprach, war dort alles im alten
kühlen Zustand. Vor dem Anblick der Wohnstube, der Möbel und der ruhig-
ernsten Helene stob meine Sicherheit und mein Siegesmut davon, ich saß da,
wie ein armer Reisender auf der Treppe sitzt, und ging nachher davon wie ein nasser Hund, jammervoll nüchtern. Passiert war nichts. Helene war sogar ganz freundlich gewesen. Aber von dem gestrigen Gefühl war nichts mehr da.
An diesem Tage begann die Sache für mich bitter ernst zu werden. Ich hatte
eine Ahnung vom Glück vorausgeschmeckt.
Nun verzehrte mich die Sehnsucht wie ein gieriger Hunger, Schlaf und See-
lenruhe waren dahin. Die Welt versank um mich her, und ich blieb abgetrennt
in einer Einsamkeit und Stille zurück, in der ich nichts vernahm als das lei-se und laute Schreien meiner Leidenschaft. Mir hatte geträumt, das große,
schöne, ernste Mädchen käme zu mir und lege sich an meine Brust; jetzt
streckte ich weinend und fluchend die Arme ins Leere aus und schlich bei Tag 176
und Nacht um die Marmormühle, wo ich kaum mehr einzukehren wagte.
Es half nichts, daß ich mir vom Verwalter Becker ohne Widerspruch die
spöttische Predigt einer glaubenslosen Nüchternheit gefallen ließ. Es half nichts, daß ich Stunden um Stunden durch die Bruthitze über Feld lief oder mich in
die kalten Waldbäche legte, bis mir die Zähne klapperten. Es half auch nichts, daß ich am Samstagabend mich an einem Raufhandel im Dorf beteiligte und
den Leib voller Beulen gehauen bekam.
Und die Zeit lief weg wie Wasser. Noch vierzehn Tage Ferien! Noch zwölf
Tage! Noch zehn! Zweimal in dieser Zeit ging ich in die Sägerei. Das eine Mal traf ich nur den Vater an, ging mit ihm zur Säge und sah stumpfsinnig zu, wie ein neuer Block eingespannt wurde. Herr Lampart ging in den Vorratsschup-pen hinüber, um irgend etwas zu besorgen, und als er nicht gleich wiederkam, lief ich fort und hatte im Sinn, nimmer herzukommen.
Trotzdem stand ich nach zwei Tagen wieder da. Helene empfing mich wie
immer, und ich konnte den Blick nicht von ihr lassen. In meiner fahrigen und haltlosen Stimmung kramte ich gedankenlos eine Menge von dummen Witzen,
Redensarten und Anekdoten aus, die sie sichtlich ärgerten.
Warum sind Sie heut so?
fragte sie schließlich und sah mich so schön und
offen an, daß mir das Herz zu schlagen begann.
Wie denn?
fragte ich, und der Teufel wollte, daß ich dabei zu lachen
versuchte.
Das mißglückte Lachen gefiel ihr nicht, sie zuckte die Achseln und sah trau-
rig aus. Mir war einen Augenblick, sie habe mich gern gehabt und mir ent-
gegenkommen wollen und sei nun darum betrübt. Eine Minute lang schwieg
ich beklommen, da war der Teufel wieder da, daß ich in die vorige Narren-
stimmung zurückfiel und wieder ins Geschwätz geriet, von dem jedes Wort
mir selber weh tat und das Mädchen ärgern mußte. Und ich war jung und
dumm genug, meinen Schmerz und meine widersinnige Narrheit fast wie ein
Schauspiel zu genießen und im Bubentrotz die Kluft zwischen mir und ihr
wissentlich zu vergrößern, statt mir lieber die Zunge abzubeißen oder Helene um Verzeihung zu bitten.
Dann verschluckte ich mich in der Hast am Wein, mußte husten und verließ
Stube und Haus elender als jemals.
Nun waren von meiner Ferienzeit nur noch acht Tage übrig.
Es war ein so schöner Sommer, es hatte alles so verheißungsvoll und heiter
angefangen. Jetzt war meine Freude dahin – was sollte ich noch mit den acht
Tagen anfangen? Ich war entschlossen, schon morgen abzureisen.
Aber vorher mußte ich noch einmal in ihr Haus. Ich mußte noch einmal
hingehen, ihre kraftvoll edle Schönheit anschauen und ihr sagen: Ich habe
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dich lieb, warum hast du mit mir gespielt?
Zunächst ging ich zu Gustav Becker auf den Rippacher Hof, den ich neuer-
dings etwas vernachlässigt hatte. Er stand in seiner großen, kahlen Stube an einem lächerlich schmalen Stehpult und schrieb Briefe.
Ich will dir adieu sagen , sagte ich,
wahrscheinlich geh ich schon morgen
fort. Weißt du, es muß jetzt wieder an ein strammes Arbeiten gehen.
Zu meiner Verwunderung
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