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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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große
    Kunst. Aber wer hat denn die Wahl? Wenn Sie heute oder morgen unter ein
    Wagenrad kommen und Arme und Beine verlieren, was fangen Sie dann mit
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    Ihren Luftschlössern an? Dann wären Sie froh, Sie hätten gelernt, mit dem,
    was über Sie verhängt ist, auszukommen. Aber fangen Sie nur das Glück, ich
    gönne es Ihnen, fangen Sie’s nur!
    Sie war nie so lebhaft gewesen. Dann wurde sie still, lächelte sonderbar
    und hielt mich nicht, als ich aufstand und für heute Abschied nahm. Ihre
    Worte beschäftigten mich nun öfters und gingen mir meistens in ganz unpas-
    senden Augenblicken wieder durch den Kopf. Ich hatte im Sinn, mit meinem
    Freunde auf dem Rippacher Hof darüber zu reden; doch wenn ich Beckers
    kühle Augen und spottbereit zuckende Lippen ansah, verging mir immer die
    Lust. Überhaupt kam es allmählich so, daß ich, je mehr meine Gespräche mit
    Fräulein Lampart persönlicher und merkwürdiger wurden, desto weniger über
    sie mit dem Verwalter sprach. Auch schien die Sache ihm nimmer wichtig zu
    sein. Höchstens fragte er hie und da, ob ich auch fleißig ins Marmorwerk laufe, neckte mich ein wenig und ließ es wieder gut sein, wie es in seinem Wesen lag.
    Einmal traf ich ihn zu meinem Erstaunen in der Lampartschen Einsiedelei.
    Er saß, als ich eintrat, in der Wohnstube beim Hausherrn, das übliche Glas
    Wein vor sich. Als er es leer hatte, war es mir eine Art Genugtuung, zu se-
    hen, daß auch ihm kein zweites angeboten wurde. Er brach bald auf, und da
    Lampart beschäftigt schien und die Tochter nicht da war, schloß ich mich an.
    Was führt denn dich daher?
    fragte ich ihn, als wir auf der Straße waren.
    Du scheinst den Lampart ja ganz gut zu kennen.
    ’S geht an.
    Hast du Geschäfte mit ihm?
    Geldgeschäfte, ja. Und das Lämmlein ist heute nicht dagewesen, wie? Dein
    Besuch war so kurz.
    Ach laß doch!
    Ich war mit dem Mädchen in eine ganz vertrauliche Freundschaftlichkeit
    gekommen, ohne indessen je mit Wissen etwas von meiner stetig zunehmen-
    den Verliebtheit merken zu lassen. Jetzt nahm sie wider all mein Erwarten
    plötzlich wieder ein andres Wesen an, das mir fürs erste wieder alle Hoffnung raubte. Scheu war sie eigentlich nicht, aber sie schien einen Weg in das frühere Fremdsein zurück zu suchen und bemühte sich, unsere Unterhaltung an äußere
    und allgemeine Dinge zu fesseln und den angefangenen herzlichen Verkehr mit
    mir nicht weiter gedeihen zu lassen.
    Ich grübelte nach, lief im Wald herum und kam auf tausend dumme Vermu-
    tungen, wurde nun selber noch unsicherer in meinem Benehmen gegen sie und
    kam in ein kümmerliches Sorgen und Zweifeln hinein, das ein Hohn auf meine
    ganze Glücksphilosophie war. Mittlerweile war auch mehr als die Hälfte meiner Ferienzeit verstrichen, und ich fing an, die Tage zu zählen und jedem unnütz verbummelten mit Neid und Verzweiflung nachzublicken, als wäre jedesmal
    gerade der unendlich wichtig und unwiederbringlich.
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    Zwischenhinein kam ein Tag, an dem ich aufatmend und fast erschrocken
    alles gewonnen glaubte und einen Augenblick vor dem offenen Tor des Glücks-
    gartens stand. Ich kam bei der Sägerei vorüber und sah Helene im Gärtchen
    zwischen den hohen Dahlienbüschen stehen. Da ging ich hinein, grüßte und
    half ihr eine liegende Staude anpfählen und aufbinden. Es war höchstens eine Viertelstunde, daß ich dort blieb. Mein Hereinkommen hatte sie überrascht,
    sie war viel befangener und scheuer als sonst, und in ihrem Scheusein lag
    etwas, das ich wie eine deutliche Schrift glaubte lesen zu können. Sie hat mich lieb, fühlte ich durch und durch, und da wurde ich plötzlich sicher und froh, sah auf das große, stattliche Mädchen zärtlich und fast mit Mitleid, wollte
    ihre Befangenheit schonen und tat, als sähe ich nichts, kam mir auch wie ein Held vor, als ich nach kurzer Zeit ihr die Hand gab und weiterging, ohne nur zurückzusehen. Sie hat mich lieb, empfand ich mit allen Sinnen, und morgen
    wird alles gut werden.
    Es war wieder ein prachtvoller Tag. Über den Sorgen und Aufregungen hat-
    te ich für eine Weile fast den Sinn für die schöne Jahreszeit verloren und war ohne Augen herumgelaufen. Nun war wieder der Wald von Licht durchzittert,
    der Bach war wieder schwarz, braun und silbern, die Ferne licht und zart,
    auf den Feldwegen lachten rot und blau die Röcke der Bauernweiber. Ich war
    so andächtig froh, ich hätte keinen Schmetterling verjagen mögen. Am obe-
    ren Waldrande, nach einem heißen Steigen,

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