Die Erzaehlungen 1900-1906
stöhnte leise, aber
so jammervoll, daß ich mir nicht zu helfen wußte. Auf all mein zärtliches
Fragen schüttelte sie nur den Kopf, lächelte dann aus ihrem Schmerz heraus
merkwürdig weich und fein, schlang den Arm um mich und saß wieder mit
mir, ganz wie gestern, schweigend und hingegeben. Sie lehnte sich fest an mich, legte den Kopf an meine Brust, und ich küßte sie langsam, ohne etwas denken
zu können, auf Haar und Stirn und Wange und Nacken, bis mir schwindelte.
Ich sprang auf.
Also soll ich morgen mit deinem Vater reden oder nicht?
Nein , sagte sie,
bitte, nicht.
Warum denn? Hast du Angst?
Sie schüttelte den Kopf.
Also warum denn?
Laß nur, laß! Rede nicht davon. Wir haben noch eine Viertelstunde Zeit.
Da saßen wir und hielten uns still umfangen, und während sie sich an mich
schmiegte und bei jeder Liebkosung den Atem anhielt und schauerte, ging
ihre Bedrücktheit und Schwermut auf mich über. Ich wollte mich wehren und
redete ihr zu, an mich und an unser Glück zu glauben.
Ja, ja , nickte sie,
nicht davon reden! Wir sind ja jetzt glücklich.
Darauf küßte sie mich mehrmals mit stummer Kraft und Glut und hing
dann erschlaffend und müde in meinem Arm. Und als ich gehen mußte, und
als sie mir in der Tür mit der Hand übers Haar strich, sagte sie mit halber
Stimme:
Adieu, Schatz. Komm morgen nicht! Komm gar nicht wieder, bitte!
Du siehst doch, daß es mich unglücklich macht.
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Mit einem quälenden Zwiespalt im Herzen ging ich heim und vergrübelte die
halbe Nacht. Warum wollte sie nicht glauben und glücklich sein? Ich mußte
an das denken, was sie mir schon vor einigen Wochen einmal gesagt hatte:
Wir Frauen sind nicht so frei wie ihr; man muß tragen lernen, was über
einen verhängt ist.
Was war denn über sie verhängt?
Das mußte ich jedenfalls wissen, und darum schickte ich ihr am Vormittag
einen Zettel und wartete abends, als das Werk stillstand und die Arbeiter alle gegangen waren, hinter dem Schuppen bei den Marmorblöcken. Sie kam spät
und zögernd herüber.
Warum bist du gekommen? Laß es jetzt genug sein. Der Vater ist drinnen.
Nein , sagte ich,
du mußt mir jetzt sagen, was du auf dem Herzen hast,
alles und alles, ich gehe nicht eher weg.
Helene sah mich ruhig an und war so blaß wie die Steinplatten, vor denen
sie stand.
Quäl mich nicht , flüsterte sie mühsam.
Ich kann dir nichts sagen, ich
will nicht. Ich kann dir nur sagen – reise ab, heut oder morgen, und vergiß
das, was jetzt ist. Ich kann nicht dir gehören.
Sie schien trotz der lauen Juliabendluft zu frieren, so zitterte sie. Schwerlich habe ich je eine ähnliche Qual empfunden wie in diesen Augenblicken. Aber
so konnte ich nicht gehen.
Sag mir jetzt alles , wiederholte ich,
ich muß es wissen.
Sie sah mich
an, daß mir alles weh tat. Aber ich konnte nicht anders.
Rede , sagte ich fast rauh,
sonst geh ich jetzt im Augenblick zu deinem
Vater hinüber.
Sie richtete sich unwillig auf und war in ihrer Blässe bei dem Dämmerlicht
von einer traurigen und großartigen Schönheit. Sie sprach ohne Leidenschaft, aber lauter als vorher.
Also. Ich bin nicht frei, und du kannst mich nicht haben. Es ist schon ein
andrer da. Ist das genug?
Nein , sagte ich,
das ist nicht genug. Hast du denn den andern lieb?
Lieber als mich?
O du!
rief sie heftig.
Nein, nein, ich hab ihn ja nicht lieb. Aber ich bin
ihm versprochen, und daran ist nichts zu ändern.
Warum nicht? Wenn du ihn nicht magst!
Damals wußte ich ja noch nichts von dir. Er gefiel mir; lieb hatte ich ihn
nicht, aber er war ein rechter Mann, und ich kannte keinen andern. Da hab
ich ja gesagt, und jetzt ist es so und muß so bleiben.
Es muß nicht, Helene. So etwas kann man doch zurücknehmen.
Ja, schon. Aber es ist nicht um jenen, es ist um den Vater. Dem darf ich
nicht untreu werden –
Aber ich will mit ihm reden –
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O du Kindskopf! Verstehst du denn gar nichts –?
Ich sah sie an. Sie lachte fast.
Verkauft bin ich, von meinem Vater und mit meinem Willen verkauft, für
Geld. Im Winter ist Hochzeit.
Sie wendete sich ab, ging ein paar Schritte weit und kehrte wieder um.
Und sagte:
Schatz, sei tapfer! Du darfst nicht mehr kommen, du darfst
nicht –
Und bloß ums Geld?
mußte ich fragen. Sie zuckte die Achseln.
Was liegt daran? Mein Vater kann nimmer zurück, er ist so fest angebun-
den wie ich. Du kennst ihn nicht! Wenn ich ihn im Stich lasse, gibt es ein
Unglück. Also sei brav, sei
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