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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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lief
    langsam in die dunkeln Felder hinein und ließ im Gehen die Tränen laufen,
    wie sie wollten.
    Aber durch die Tränen hindurch sah ich das sommernächtige Land daliegen,
    die mächtige Flucht der Ackerfelder schwoll am Horizont wie eine starke und
    weiche Woge in den Himmel, seitwärts schlief atmend der weithin gestreckte
    Wald, und hinter mir lag fast verschwunden das Dorf, mit wenig Lichtlein und wenigen leisen und fernen Tönen. Himmel, Ackerland, Wald und Dorf samt
    den vielerlei Wiesendüften und dem vereinzelt noch hörbaren Grillengeläut
    floß alles ineinander und umgab mich lau und sprach zu mir wie eine schöne,
    froh und traurig machende Melodie. Nur die Sterne ruhten klar und unbe-
    wegt in halbdunkeln Höhen. Ein scheues und doch brennendes Begehren, eine
    Sehnsucht rang sich in mir auf; ich wußte nicht, war es ein Hindrängen zu neu-en, unbekannten Freuden und Schmerzen oder ein Verlangen, rückwärts in die
    Kinderheimat zu wandern, mich an den väterlichen Gartenzaun zu lehnen, die
    Stimmen der toten Eltern und das Kläffen unseres toten Hundes noch einmal
    zu hören und mich auszuweinen.
    Ohne es zu wollen, kam ich in den Wald und durch dürres Gezweige und
    schwüle Finsternis, bis es vor mir plötzlich geräumig und hell ward, und dann stand ich lange zwischen den hohen Tannen über dem engen Sattelbachtal, und
    drunten lag das Lampartsche Anwesen mit den blassen Marmorhaufen und
    dem dunkel brausenden schmalen Wehr. Bis ich mich schämte und querfeldein
    den nächsten Heimweg nahm.
    Am nächsten Tage hatte Gustav Becker mein Geheimnis schon heraus.
    Mach doch keine Redensarten , sagte er,
    du bist ja einfach in die Lam-
    part verschossen. Das Unglück ist ja nicht so groß. Du bist in dem Alter, daß dir dergleichen ohne Zweifel noch öfter passieren wird.
    Mein Stolz regte sich schon wieder mächtig.
    Nein, mein Lieber , sagte ich,
    da hast du mich doch unterschätzt. Über
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    so knabenhafte Liebeleien sind wir hinaus. Ich hab mir alles wohl überlegt
    und finde, ich könnte gar keine bessere Heirat tun.
    Heiraten?
    lachte Becker.
    Junge, du bist reizend.
    Da wurde ich ernstlich zornig, lief aber doch nicht fort, sondern ließ mich
    darauf ein, dem Verwalter meine Gedanken und Pläne in dieser Sache weit-
    läufig zu erzählen.
    Du vergißt eine Hauptsache , sagte er dann ernsthaft und nachdrücklich.
    Die Lamparts sind nichts für dich, das sind Leute von einem schweren Kali-
    ber. Verlieben kann man sich ja in wen man will, aber heiraten darf man nur
    jemanden, mit dem man nachher auch fertig werden und Tempo einhalten
    kann.
    Da ich Gesichter schnitt und ihn heftig unterbrechen wollte, lachte er plötzlich wieder und meinte:
    Na, dann tummle dich, mein Sohn, und auch viel
    Glück dazu!
    Von da an sprach ich eine Zeitlang oft mit ihm darüber. Da er selten von
    der Sommerarbeit abkommen konnte, führten wir fast alle diese Gespräche
    unterwegs im Feld oder in Stall und Scheuer. Und je mehr ich redete, desto
    klarer und abgerundeter stand die ganze Sache vor mir.
    Nur wenn ich in der Marmorsäge saß, fühlte ich mich bedrückt und merkte
    wieder, wie weit ich noch vom Ziele war. Das Mädchen war stets von derselben freundlich stillen Art, mit einem Anflug von Männlichkeit, der mir köstlich
    schien und mich doch schüchtern machte. Zuweilen wollte es mir scheinen,
    sie sähe mich gern und habe mich heimlich lieb; sie konnte mich je und je
    so selbstvergessen und prüfend ansehen, wie etwas, woran man Freude hat.
    Auch ging sie ganz ernsthaft auf meine klugen Reden ein, schien aber im
    Hintergrund eine unumstößlich andre Meinung zu haben.
    Einmal sagte sie:
    Für die Frauen oder wenigstens für mich sieht das Leben
    doch anders aus. Wir müssen vieles tun und geschehen lassen, was ein Mann
    anders machen könnte. Wir sind nicht so frei . . .
    Ich sprach davon, daß jedermann sein Schicksal in der Hand habe und sich
    ein Leben schaffen müsse, das ganz sein Werk sei und ihm gehöre.
    Ein Mann kann das vielleicht , meinte sie.
    Das weiß ich nicht. Aber bei
    uns ist das anders. Auch wir können etwas aus unserm Leben machen, aber
    es gilt da mehr, das Notwendige mit Vernunft zu tragen, als eigne Schritte zu tun.
    Und als ich nochmals widersprach und eine hübsche kleine Rede losließ,
    wurde sie wärmer und sagte fast leidenschaftlich:
    Bleiben Sie bei Ihrem Glauben und lassen Sie mir meinen! Sich das Schön-
    ste vom Leben heraussuchen, wenn man die Wahl hat, ist keine so

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