Die Erzaehlungen 1900-1906
unteren
Stellfalle aus dem Bach gezogen. – Sei still, sag nichts! Und nicht umfallen!
Du bist nicht der einzige, dem das kein Spaß ist. Probier’s jetzt und drück die Männlichkeit durch. Jetzt liegt sie in der Stube dort und sieht wieder schön genug aus, aber wie wir sie herausgeholt haben – das war bös, du, das war
bös . . .
Er hielt inne und schüttelte den Kopf.
Sei still! Nichts sagen! Später ist zum Reden Zeit genug. Es geht mich näher an als dich. – Oder nein, lassen wir’s; ich sag dir das alles dann morgen.
Nein , bat ich,
Becker, sag mir’s! Ich muß alles wissen.
Nun ja. Kommentar und so weiter steht dir jederzeit zu Diensten. Ich kann
jetzt nur sagen, es war gut mit dir gemeint, daß ich dich all die Zeit hier ins Haus laufen ließ. Man weiß ja nie vorher. – Also, ich bin mit der Helene verlobt gewesen. Noch nicht öffentlich, aber –
186
Im Augenblick meinte ich, ich müsse aufstehen und dem Verwalter mit aller
Kraft ins Gesicht schlagen. Er schien es zu merken.
Nicht so!
sagte er ruhig und sah mich an.
Wie gesagt, zu Erklärungen
ist ein andermal Zeit.
Wir saßen schweigend. Wie eine Gespensterjagd flog die ganze Geschichte
zwischen Helene und Becker und mir an mir vorbei, so klar wie schnell. Warum hatte ich das nicht früher erfahren, warum es nicht selber gemerkt? Wieviel
Möglichkeiten hätte es da noch gegeben! Nur ein Wort, nur eine Ahnung, und
ich wäre still meiner Wege gegangen, und sie läge jetzt nicht dort drinnen.
Mein Zorn war schon erstickt. Ich fühlte wohl, daß Becker die Wahrheit
ahnen mußte, und ich begriff, welche Last nun auf ihm lag, da er in seiner
Sicherheit mich hatte spielen lassen und nun den größeren Teil der Schuld auf seiner Seele hatte. jetzt mußte ich noch eine Frage tun.
Du, Becker – hast du sie lieb gehabt? Ernstlich lieb gehabt?
Er wollte etwas sagen, aber die Stimme brach ihm ab. Er nickte nur, zwei-
mal, dreimal. Und als ich ihn nicken sah, und als ich sah, wie diesem zähen
und harten Menschen die Stimme versagte und wie auf seinem übernächtigten
Gesicht die Muskeln so deutlich redend zuckten, da fiel mich das ganze Weh
erst an.
Nach einer guten Weile, da ich durch die versiegenden Tränen aufschaute,
stand jener vor mir und hielt mir die Hand hingestreckt. Ich nahm sie an
und drückte sie, er stieg langsam vor mir her die steile Treppe hinunter und öffnete leise die Tür des Wohnzimmers, in dem Helene lag und das ich mit
tiefem Grauen an jenem Morgen zum letztenmal betrat.
(1903)
187
In der alten Sonne
Wenn im Frühling oder Sommer oder auch noch im Frühherbst ein linder
Tag ist und eine angenehme, auch wieder nicht zu heftige Wärme den Auf-
enthalt im Freien zu einem Vergnügen macht, dann ist die ausschweifend ge-
bogene halbrunde Straßenkehle am Allpacher Weg, vor den letzten hochge-
legenen Häusern der Stadt, ein prächtiger Winkel. Auf der berghinan sich
schlängelnden Straße sammelt sich die schöne Sonnenwärme stetig an, die La-
ge ist vor jedem Winde wohl beschützt, ein paar krumme alte Obstbäume
spenden ein wenig Schatten, und der Straßenrand, ein breiter, sanfter, rasiger Rain, verlockt mit seiner wohlig sich schmiegenden Krümmung freundlich zum
Sitzen oder Liegen. Das weiße Sträßlein glänzt im Licht und hebt sich schön
langsam bergan, schickt jedem Bauernwagen oder Landauer oder Postkarren
ein dünnes Stäublein nach und schaut über eine schiefe, von Baumkronen
da und dort unterbrochene Flucht von schwärzlichen Dächern hinweg gera-
de ins Herz der Stadt, auf den Marktplatz, der von hier aus gesehen freilich an Stattlichkeit stark verliert und nur als ein sonderbar verschobenes Viereck mit krummen Häusern und herausspringenden Vortreppen und Kellerhälsen
erscheint.
An solchen sonnig milden Tagen ist der wohlige Rain jener hohen Bergstra-
ßenkrümmung unwandelbar stets von einer kleinen Schar ausruhender Männer
besetzt, deren kühne und verwitterte Gesichter nicht recht zu ihren zahmen
und trägen Gebärden passen und von denen der jüngste mindestens ein ho-
her Fünfziger ist. Sie sitzen und liegen bequem in der Wärme, schweigen
oder führen kurze, brummende und knurrende Gespräche untereinander, rau-
chen kleine schwarze Pfeifenstrünke und spukten häufig weltverächterisch in
kühnem Bogen bergabwärts. Die etwa vorübertapernden Handwerksburschen
werden von ihnen scharf begutachtet und je nach Befund mit einem wohlwol-
lend
Weitere Kostenlose Bücher