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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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der gleichförmigen Tage hatten Sauberle und Heller aus
    eigenen Mitteln ungefähr so wenig wie der gute Holdria beizusteuern.
    Es liefen also die Tage und Wochen so leidlich hin. Der Hausvater schaff-
    te und sorgte sich müd und mager, der Seiler genoß eifersüchtig sein billiges Wohlsein, der Finkenbein drückte ein Auge zu und hielt sich an der Oberfläche, der Holdria blühte in ewigem Seelenfrieden und nahm an Liebenswürdigkeit,
    gutem Appetit und Beleibtheit täglich zu. Das Idyll wäre fertig gewesen. Al-
    lein es ging inmitten dieses nahrhaften Friedens der hagere Geist des toten
    Fabrikanten um. Das Loch mußte um sich fressen.
    Und so geschah es an einem Mittwoch im Februar, daß Lukas Heller morgens
    eine Arbeit im Holzstall zu tun hatte, und da er noch immer nicht anders
    als ruckweise fleißig sein konnte, kam er in Schweiß, ruhte unter der Türe
    aus und bekam Husten und Kopfweh. Zu Mittag aß er kaum die Hälfte wie
    sonst, nachmittags blieb er beim Ofen und zankte, hustete und fluchte, und
    abends legte er sich schon um acht ins Bett. Am andern Morgen holte man den
    Doktor. Diesmal aß Heller um Mittag gar nichts, etwas später ging das Fieber los, in der Nacht mußten der Finkenbein und der Hausvater abwechselnd bei
    ihm wachen. Tags darauf starb der Seiler, und die Stadt war wieder einen
    Kostgänger losgeworden.
    Es brach im März ein ungewöhnlich frühes Sommerwetter und Wachstum
    an. Die großen Berge und die kleinen Straßengräben wurden grün und jung,
    die Straße war von plötzlich aufgetauchten Hühnern, Enten und Handwerks-
    burschen fröhlich bevölkert, und durch die Lüfte stürzten sich mit freudigem Schwunge große und kleine Vögel.
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    Dem Finkenbein war es in der zunehmenden Vereinsamung und Stille des
    Hauses immer enger und bänglicher ums Herz geworden. Die beiden Sterbefälle
    schienen ihm bedenklich, und er kam sich immer mehr wie einer vor, der auf
    einem untersinkenden Schiffe als letzter am Leben blieb. Nun roch und lugte
    er stündlich zum Fenster hinaus in die Wärme und milde Frühjahrsbläue. Es
    gärte ihm in allen Gliedern, und sein jung gebliebenes Herz, da es den lieben Frühling witterte, gedachte alter Zeiten.
    Eines Tages brachte er aus der Stadt nicht nur ein Päcklein Tabak und einige neueste Neuigkeiten, sondern auch in einem schäbig alten Wachstüchlein zwei
    neue Papiere mit, welche zwar schöne Schnörkel und feierliche blaue Amts-
    stempel trugen, aber nicht vom Rathaus geholt waren. Wie sollte auch ein
    so alter und kühner Landfahrer und Türklinkenputzer die zarte und geheim-
    nisvolle Kunst nicht verstehen, auf sauber geschriebene Papiere beliebige alte oder neue Stempel zu übertragen. Nicht jeder kann und weiß es, und es gehören feine Finger und gute Übung dazu, von einem frischen Ei die dünne innere
    Haut zu lösen und makellos auszubreiten, die Stempel eines alten Heimat-
    scheins und Wanderpasses darauf abzudrücken und reinlich von der feuchten
    Haut aufs neue Papier zu übertragen.
    Und wieder eines Tages war Stefan Finkenbein ohne Sang und Klang aus
    Stadt und Gegend verschwunden. Er hatte auf die Reise seinen hohen, steifen
    Straubingerhut mitgenommen und seine alte Wollenkappe als einziges Anden-
    ken zurückgelassen. Die Behörde stellte eine kleine vorsichtige Untersuchung an. Da man aber bald gerüchtweise vernahm, er sei in einem benachbarten
    Oberamt lebendig und vergnügt in einer beliebten Kundenherberge erblickt
    worden, und da man kein Interesse daran hatte, ihn ohne Not zurückzuholen,
    seinem etwaigen Glücke im Weg zu stehen und ihn auf Stadtkosten weiter
    zu füttern, wurde auf fernere Nachforschungen klug verzichtet, und man ließ
    den losen Vogel mit den besten Wünschen fliegen, wohin er mochte. Es kam
    auch nach sechs Wochen eine Postkarte von ihm aus dem Bayrischen, worin er
    dem Stricker schrieb:
    Geehrter Herr Sauberle, ich bin in Bayern. Es ist hier
    ziemlich kälter. Wissen Sie was? Nehmen Sie den Holdria und seinen Spatz
    und lassen sie für Geld sehen. Wir können dann mitnander drauf reisen. Wir
    hängen dann dem Hürlin selig sein Schild raus. Ihr getreuer Stefan Finkenbein, Turmspitzenvergolder.
    Es sind seit Hellers Tode und Finkenbeins Auszug fünfzehn Jahre vergangen,
    und Holdria haust noch immer feist und rotbackig in der ehemaligen
    Sonne .
    Er ist zuerst eine Zeitlang allein geblieben. Die Aspiranten hielten sich zurück, denn der schauervolle Tod des Fabrikanten, das schnelle Wegsterben des

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