Die Erzaehlungen 1900-1906
Art
Schreinerwerkstatt eingerichtet, und im Ofen schmolz und goß er Blei und
Zinn, und sommers hielt er Blindschleichen und Eidechsen in einer Kiste sie
verschwanden immer nach kurzer Zeit durch immer neue Löcher im Draht-
gitter. Außerdem hatte er auch noch seine Geige, und wenn er nicht las oder
schreinerte, so geigte er gewiß, zu allen Stunden bei Tag und bei Nacht.
So hatte der junge Mensch jeden Tag seine Freuden und ließ sich die Zeit
niemals lang werden, zumal da es ihm nicht an Büchern fehlte, die er entlehnte, 249
wo er eins stehen sah. Er las eine Menge, aber freilich war ihm nicht eins so lieb wie das andre, sondern er zog die Märchen und Sagen sowie Trauerspiele
in Versen allen andern vor.
Das alles, so schön es war, hätte ihn aber doch nicht satt gemacht. Darum
stieg er, wenn der fatale Hunger wieder zu mächtig wurde, so still wie ein
Wiesel die alten, schwarzen Stiegen hinunter bis in den steinernen Hausgang, in welchen nur aus dem Laden her ein schwacher Lichtstreifen fiel. Dort war es nicht selten, daß auf einer hohen leeren Kiste ein Rest guten Käses lag, oder es stand ein halbvolles Heringsfäßchen offen neben der Tür, und an guten Tagen
oder wenn Karl unter dem Vorwand der Hilfsbereitschaft mutig in den Laden
selber trat, kamen auch zuweilen ein paar Hände voll gedörrte Zwetschgen,
Birnenschnitze oder dergleichen in seine Tasche.
Diese Züge unternahm er jedoch nicht mit Habsucht und schlechtem Ge-
wissen, sondern teils mit der Harmlosigkeit des Hungernden, teils mit den
Gefühlen eines hochherzigen Räubers, der keine Menschenfurcht kennt und
der Gefahr mit kühlem Stolze ins Auge blickt. Es schien ihm ganz den Geset-
zen der sittlichen Weltordnung zu entsprechen, daß das, was die alte Mutter
geizig an ihm sparte, der überfüllten Schatzkammer ihres Sohnes entzogen
würde.
Diese verschiedenartigen Gewohnheiten, Beschäftigungen und Liebhaberei-
en hätten, neben der allmächtigen Schule her, eigentlich genügen können, um
seine Zeit und seine Gedanken auszufüllen. Karl Bauer war aber davon noch
nicht befriedigt. Teils in Nachahmung einiger Mitschüler, teils infolge seiner vielen schöngeistigen Lektüre, teils auch aus eignem Herzensbedürfnis betrat er in jener Zeit zum erstenmal das schöne ahnungsvolle Land der Frauenliebe.
Und da er doch zum voraus genau wußte, daß sein derzeitiges Streben und
Werben zu keinem realen Ziele führen würde, war er nicht allzu bescheiden
und weihte seine Verehrung dem schönsten Mädchen der Stadt, die aus rei-
chem Hause war und schon durch die Pracht ihrer Kleidung alle gleichaltrigen Jungfern weit überstrahlte. An ihrem Haus ging der Schüler täglich vorbei,
und wenn sie ihm begegnete, zog er den Hut so tief wie vor dem Rektor nicht.
So waren seine Umstände beschaffen, als durch einen Zufall eine ganz neue
Farbe in sein Dasein kam und neue Tore zum Leben sich ihm öffneten.
Eines Abends gegen Ende des Herbstes, da Karl von der Schale mit dünnem
Milchkaffee wieder gar nicht satt geworden war, trieb ihn der Hunger auf die Streife. Er glitt unhörbar die Treppe hinab und revierte im Hausgang, wo er
nach kurzem Suchen einen irdenen Teller stehen sah, auf welchem zwei Win-
terbirnen von köstlicher Größe und Farbe sich an eine rotgeränderte Scheibe
Holländerkäse lehnten.
Leicht hätte der Hungrige erraten können, daß diese Kollation für den Tisch
des Hausherrn bestimmt und nur für Augenblicke von der Magd beiseitege-
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stellt worden sei; aber im Entzücken des unerwarteten Anblicks lag ihm der
Gedanke an eine gütige Schicksalsfügung viel näher, und er barg die Gabe mit dankbaren Gefühlen in seinen Taschen.
Noch ehe er damit fertig und wieder verschwunden war, trat jedoch die
Dienstmagd Babett auf leisen Pantoffeln aus der Kellertüre, hatte ein Ker-
zenlicht in der Hand und entdeckte entsetzt den Frevel. Der junge Dieb hatte noch den Käse in der Hand; er blieb regungslos stehen und sah zu Boden,
während in ihm alles auseinanderging und in einem Abgrund von Scham ver-
sank. So standen die beiden da, von der Kerze beleuchtet, und das Leben hat
dem kühnen Knaben seither wohl schmerzlichere Augenblicke beschert, aber
gewiß nie einen peinlicheren.
Nein, so was!
sprach Babett endlich und sah den zerknirschten Frevler an,
als wäre er eine Moritat. Dieser hatte nichts zu sagen.
Das sind Sachen!
fuhr
sie fort.
Ja, weißt du denn nicht, daß das gestohlen ist?
Doch,
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