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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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einem
    Neubau ist er abgestürzt und ist seit gestern nicht zu sich gekommen.
    Schweigend gingen sie weiter. Karl besann sich vergebens auf irgendein gutes Wort der Teilnahme; ihm war es wie ein beängstigender Traum, daß er jetzt
    so neben ihr durch die Straßen ging und Mitleid mit ihr haben mußte.
    Wo gehst du jetzt hin?
    fragte er schließlich, da er das Schweigen nimmer
    ertrug.
    Wieder zu ihm. Sie haben mich mittags fortgeschickt, weil mir’s nicht gut
    war.
    272
    Er begleitete sie bis an das große stille Krankenhaus, das zwischen hohen
    Bäumen und umzäunten Anlagen stand, und ging auch leise schaudernd mit
    hinein über die breite Treppe und durch die sauberen Flure, deren mit Medi-
    zingerüchen erfüllte Luft ihn scheu machte und bedrückte.
    Dann trat Tine allein in eine numerierte Türe. Er wartete still auf dem Gang; es war sein erster Aufenthalt in einem solchen Hause, und die Vorstellung der vielen Schrecken und Leiden, die hinter allen diesen lichtgrau gestrichenen
    Türen verborgen waren, nahm sein Gemüt mit Grauen gefangen. Er wagte
    sich kaum zu rühren, bis Tine wieder herauskam.
    Es ist ein wenig besser, sagen sie, und vielleicht wacht er heut noch auf.
    Also adieu, Karl, ich bleib jetzt drinnen, und danke auch schön.
    Leise ging sie wieder hinein und schloß die Türe, auf der Karl zum hun-
    dertstenmal gedankenlos die Ziffer siebzehn las. Seltsam erregt verließ er das unheimliche Haus. Die vorige Fröhlichkeit war ganz in ihm erloschen, aber was er jetzt empfand, war auch nicht mehr das einstige Liebesweh, es war eingeschlossen und umhüllt von einem viel weiteren, größeren Fühlen und Erleben.
    Er sah sein Entsagungsleid klein und lächerlich werden neben dem Unglück,
    dessen Anblick ihn überrascht hatte. Er sah auch plötzlich ein, daß sein kleines Schicksal nichts Besonderes und keine grausame Ausnahme sei, sondern
    daß auch über denen, die er für Glückliche angesehen hatte, unentrinnbar das Schicksal walte.
    Aber er sollte noch mehr und noch Besseres und Wichtigeres lernen. In
    den folgenden Tagen, da er Tine häufig im Spital aufsuchte, und dann, als
    der Kranke so weit war, daß Karl ihn zuweilen sehen durfte, da erlebte er
    nochmals etwas ganz Neues.
    Da lernte er sehen, daß auch das unerbittliche Schicksal noch nicht das
    Höchste und Endgültige ist, sondern daß schwache, angstvolle, gebeugte Men-
    schenseelen es überwinden und zwingen können. Noch wußte man nicht, ob
    dem Verunglückten mehr als das hilflos elende Weiterleben eines Siechen und
    Gelähmten zu retten sein werde. Aber über diese angstvolle Sorge hinweg sah
    Karl Bauer die beiden Armen sich des Reichtums ihrer Liebe erfreuen, er sah
    das ermüdete, von Sorgen verzehrte Mädchen aufrecht bleiben und Licht und
    Freude um sich verbreiten und sah das blasse Gesicht des gebrochenen Mannes
    trotz der Schmerzen von einem frohen Glanz zärtlicher Dankbarkeit verklärt.
    Und er blieb, als schon die Ferien begonnen hatten, noch mehrere Tage da,
    bis die Tine selber ihn zum Abreisen nötigte.
    Im Gang vor den Krankenzimmern nahm er von ihr Abschied, anders und
    schöner als damals im Hof des Kustererschen Ladens. Er nahm nur ihre Hand
    und dankte ihr ohne Worte, und sie nickte ihm unter Tränen zu. Er wünschte
    ihr Gutes und hatte selber in sich keinen besseren Wunsch, als daß auch er
    einmal auf die heilige Art lieben und Liebe empfangen möchte wie das arme
    273
    Mädchen und ihr Verlobter.
    (1905)
    274
    Anton Schievelbeyn’s
    Ohn-freywillige Reisse nacher
    Ost-Indien
    Ein Plagiat aus dem 17. Jahrhundert
    So habe ich, einen Theils zur eewigen Gedächtniß meiner Betahnen Sünden,
    u. eingetrettenen Beßerung, vorauß aber zur Ehre GOttes, des HErrn, alles
    auffbewahrt u. geschriben, so mir, nach Seiner Fügung, auff meinen merck-
    würdigen See-Reissen, u. in fremden Gegenden u. Landschafften, begegnet u.
    auffgestossen ist. Insonderheit die merckenswerthen Woltahten, welcher der
    HErr in Seiner Barmhertzigkeit an mir großen Sünder u. Elenden außgeübt.
    Zu vörderst muß ich in aller Kürtze meiner vorigen Umstende u. Schicksahle
    gedencken, alss wie ich in gantz zarten Jaren auff See fuhr u. viel seltzahme u. schröckliche Abenteuer gehabt. Alßdann an den Cap de bon Esperance gelangt, woselbst die Niederlendischen ihren, unlengst angefangenen, Wohnsizz
    ämsig verbeßerten, theils freye, theils unfreye, mich auch auff das Beste auff-namen. Dann war ich derzeiten übel kranck, u. glaubte nicht lenger

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