Die Erzaehlungen 1900-1906
gehabt,
und ich hab dich nicht wollen so ohne Hü und ohne Hott fortschicken. Ich hab dir ja auch gleich gesagt, weißt du, daß du dich deswegen nicht als meinen
Schatz ansehen darfst, nicht wahr?
Karl schwieg.
Nicht wahr?
Ja, also.
Und jetzt müssen wir ein Ende machen, und du mußt es auch nicht schwer
nehmen, es ist die Gasse voll mit Mädchen, und ich bin nicht die einzige und auch nicht die rechte für dich, wo du doch studierst und später ein Herr wirst und vielleicht ein Doktor.
Nein du, Tine, sag das nicht!
Es ist halt doch so und nicht anders. Und das will ich dir auch noch sagen,
daß das niemals das Richtige ist, wenn man sich zum erstenmal verliebt. So
jung weiß man ja noch gar nicht, was man will. Es wird nie etwas draus, und
später sieht man dann alles anders an und sieht ein, daß es nicht das Rechte war.
Karl wollte etwas antworten, er hatte viel dagegen zu sagen, aber vor Leid
brachte er kein Wort heraus.
Hast du was sagen wollen?
fragte die Tine.
O du, du weißt ja gar nicht –
Was, Karl?
Ach, nichts. O Tine, was soll ich denn anfangen?
Nichts anfangen, bloß ruhig bleiben. Das dauert nicht lang, und nachher
bist du froh, daß es so gekommen ist.
Du redest, ja, du redest –
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Ich red nur, was in der Ordnung ist, und du wirst sehen, daß ich ganz
recht hab, wenn du auch jetzt nicht dran glauben willst. Es tut mir ja leid, du, es tut mir wirklich so leid.
Tut’s dir? – Tine, ich will ja nichts sagen, du sollst ja ganz recht haben –
aber daß das alles so auf einmal aufhören soll, alles –
Er kam nicht weiter, und sie legte ihm die Hand auf die zuckende Schulter
und wartete still, bis sein Weinen nachließ.
Hör mich , sagte sie dann entschlossen.
Du mußt mir jetzt versprechen,
daß du brav und gescheit sein willst.
Ich will nicht gescheit sein! Tot möcht ich sein, lieber tot, als so – –
Du, Karl, tu nicht so wüst! Schau, du hast früher einmal einen Kuß von
mir haben wollen – weißt noch?
Ich weiß.
Also. jetzt, wenn du brav sein willst – sieh, ich mag doch nicht, daß du
nachher übel von mir denkst; ich möcht so gern im Guten von dir Abschied
nehmen. Wenn du brav sein willst, dann will ich dir den Kuß heut geben.
Willst du?
Er nickte nur und sah sie ratlos an. Und sie trat dicht zu ihm hin und gab
ihm den Kuß, und der war still und ohne Gier, rein gegeben und genommen.
Zugleich nahm sie seine Hand und drückte sie leise, dann ging sie schnell
durchs Tor in den Hausgang und davon.
Karl Bauer hörte ihre Schritte im Gang schallen und verklingen; er hörte,
wie sie das Haus verließ und über die Vortreppe auf die Straße ging. Er hörte es, aber er dachte an andre Dinge.
Er dachte an eine winterliche Abendstunde, in der ihm auf der Gasse eine
junge blonde Magd eine Ohrfeige gegeben hatte, und dachte an einen Vor-
frühlingsabend, da im Schatten einer Hofeinfahrt ihm eine Mädchenhand das
Haar gestreichelt hatte, und die Welt war verzaubert, und die Straßen der
Stadt waren fremde, selig schöne Räume gewesen. Melodien fielen ihm ein, die er früher gegeigt hatte, und jener Hochzeitsabend in der Vorstadt mit Bier
und Kuchen. Bier und Kuchen, kam es ihm vor, war eigentlich eine lächerliche Zusammenstellung, aber er konnte nicht weiter daran denken, denn er hatte
ja seinen Schatz verloren und war betrogen und verlassen worden. Freilich, sie hatte ihm einen Kuß gegeben – einen Kuß . . . O Tine!
Müde setzte er sich auf eine von den vielen leeren Kisten, die im Hof herum-
standen. Das kleine Himmelsviereck über ihm wurde rot und wurde silbern,
dann erlosch es und blieb lange Zeit tot und dunkel, und nach Stunden, da
es mondhell wurde, saß Karl Bauer noch immer auf seiner Kiste, und sein
verkürzter Schatten lag schwarz und mißgestaltet vor ihm auf dem unebenen
Steinpflaster.
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Es waren nur flüchtige und vereinzelte Blicke eines Zaungastes gewesen,
die der junge Bauer ins Land der Liebe getan hatte, aber sie waren hinrei-
chend gewesen, ihm das Leben ohne den Trost der Frauenliebe traurig und
wertlos erscheinen zu lassen. So lebte er jetzt leere und schwermütige Tage
und verhielt sich gegen die Ereignisse und Pflichten des alltäglichen Lebens teilnahmslos wie einer, der nicht mehr dazu gehört. Sein Griechischlehrer ver-schwendete nutzlose Ermahnungen an den unaufmerksamen Träumer; auch
die guten Bissen der getreuen Babett schlugen ihm nicht an, und ihr wohlge-
meinter Zuspruch glitt ohne Wirkung
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