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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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errötend und mit gesenkten Blicken in
    den Garten, wo man durch ein Netzwerk von Zweigen und braunen, harzigen
    Kastanienknospen den Himmel noch blauer lachen sah. Es war ein herrlicher
    Nachmittag, und als Tine gegen Abend in die Stadt zurückkehrte, tat sie
    es nicht allein, sondern wurde höflich von einem kräftigen, hübschen Mann
    begleitet.
    Und diesmal war Tine an den Rechten gekommen. Er war ein Zimmer-
    mannsgesell, der mit dem Meisterwerden und einer Heirat nicht mehr allzu
    lange zu warten brauchte. Er sprach andeutungsweise und stockend von seiner
    Liebe und deutlich und fließend von seinen Verhältnissen und Aussichten. Es
    zeigte sich, daß er unbekannterweise die Tine schon einigemal gesehen und be-267
    gehrenswert gefunden hatte und daß es ihm nicht nur um ein vorübergehendes
    Liebesvergnügen zu tun war. Eine Woche lang sah sie ihn täglich und gewann
    ihn täglich lieber, zugleich besprachen sie alles Nötige, und dann waren sie einig und galten voreinander und vor ihren Bekannten als Verlobte.
    Auf die erste traumartige Erregung folgte bei Tine ein stilles, fast feierliches Fröhlichsein, über welchem sie eine Weile alles vergaß, auch den armen Schüler Karl Bauer, der in dieser ganzen Zeit vergeblich auf sie wartete.
    Als ihr der vernachlässigte Junge wieder ins Gedächtnis kam, tat er ihr so leid, daß sie im ersten Augenblick daran dachte, ihm die Neuigkeit noch eine Zeitlang vorzuenthalten. Dann wieder schien ihr dies doch nicht gut und erlaubt
    zu sein, und je mehr sie es bedachte, desto schwieriger kam die Sache ihr vor.
    Sie bangte davor, sogleich ganz offen mit dem Ahnungslosen zu reden, und
    wußte doch, daß das der einzige Weg zum Guten war; und jetzt sah sie erst
    ein, wie gefährlich ihr wohlgemeintes Spiel mit dem Knaben gewesen war. Je-
    denfalls mußte etwas geschehen, ehe der Junge durch andre von ihrem neuen
    Verhältnis erfuhr. Sie wollte nicht, daß er schlecht von ihr denke. Sie fühlte, ohne es deutlich zu wissen, daß sie dem Jüngling einen Vorgeschmack und eine Ahnung der Liebe gegeben hatte und daß die Erkenntnis des Betrogenseins
    ihn schädigen und ihm das Erlebte vergiften würde. Sie hatte nie gedacht, daß diese Knabengeschichte ihr so zu schaffen machen könnte.
    Am Ende ging sie in ihrer Ratlosigkeit zur Babett, welche freilich in Liebes-angelegenheiten nicht die berufenste Richterin sein mochte. Aber sie wußte,
    daß die Babett ihren Lateinschüler gern hatte und sich um sein Ergehen sorgte, und so wollte sie lieber einen Tadel von ihr ertragen, als den jungen Verliebten unbehütet alleingelassen wissen.
    Der Tadel blieb nicht aus. Die Babett, nachdem sie die ganze Erzählung des
    Mädchens aufmerksam und schweigend angehört hatte, stampfte zornig auf
    den Boden und fuhr die Bekennerin mit rechtschaffener Entrüstung an.
    Mach keine schönen Worte!
    rief sie ihr heftig zu.
    Du hast ihn einfach an
    der Nase herumgeführt und deinen gottlosen Spaß mit ihm gehabt, mit dem
    Bauer, und nichts weiter.
    Das Schimpfen hilft nicht viel, Babett. Weißt du, wenn mir’s bloß ums
    Amüsieren gewesen wär, dann wär ich jetzt nicht zu dir gelaufen und hätte
    dir’s eingestanden. Es ist mir nicht so leicht gewesen.
    So? Und jetzt, was stellst du dir vor? Wer soll jetzt die Suppe ausfressen,
    he? Ich vielleicht? Und es bleibt ja doch alles an dem Bub hängen, an dem
    armen.
    Ja, der tut mir leid genug. Aber hör mir zu. Ich meine, ich rede jetzt mit
    ihm und sag ihm alles selber, ich will mich nicht schonen. Nur hab ich wollen, 268
    daß du davon weißt, damit du nachher kannst ein Aug auf ihn haben, falls es
    ihn zu arg plagt. – Wenn du also willst –?
    Kann ich denn anders? Kind, dummes, vielleicht lernst du was dabei. Die
    Eitelkeit und das Herrgottspielenwollen betreffend, meine ich. Es könnte nicht schaden.
    Diese Unterredung hatte das Ergebnis, daß die alte Magd noch am selben
    Tag eine Zusammenkunft der beiden im Hofe veranstaltete, ohne daß Karl ihre
    Mitwisserschaft erriet. Es ging gegen den Abend, und das Stückchen Himmel
    über dem kleinen Hofraum glühte mit schwachem Goldfeuer. In der Torecke
    aber war es dunkel, und niemand konnte die zwei jungen Leute dort sehen.
    Ja, ich muß dir was sagen, Karl , fing das Mädchen an.
    Heut müssen
    wir einander adieu sagen. Es hat halt alles einmal sein Ende.
    Aber was denn – warum –?
    Weil ich jetzt einen Bräutigam hab –
    Einen —
    Sei ruhig, gelt, und hör mich zuerst. Siehst, du hast mich ja gern

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