Die Erzaehlungen 1900-1906
lasse ich eine Tafel unter Ihrem Fenster anbringen. Ich hoffe bestimmt, es noch zu erleben.
Der Hauslehrer verzog das Gesicht. Er war sehr nervös.
Sie überschätzen meinen Ehrgeiz , sagte er frostig.
Es ist mir durchaus
einerlei, ob mein Name einmal bekannt wird oder nicht. Was die Tafel betrifft –
O, seien Sie unbesorgt, lieber Herr! Aber Sie sind entschieden zu beschei-
den. Paul, nimm dir ein Muster!
Der Tante schien es nun an der Zeit, den Kandidaten zu retten. Sie kannte
diese Art von höflichen Dialogen, die dem Hausherrn so viel Vergnügen mach-
ten, und sie fürchtete sie. Indem sie Wein anbot, lenkte sie das Gespräch in andere Gleise und hielt es darin fest.
Es war hauptsächlich von den erwarteten Gästen die Rede. Paul hörte kaum
darauf. Er aß nach Kräften und besann sich nebenher wieder einmal darüber,
wie es käme, daß der junge Hauslehrer neben dem fast grauhaarigen Vater
immer aussah, als sei er der Ältere.
Vor den Fenstern und Glastüren begannen Garten, Baumland, Teich und
Himmel sich zu verwandeln, vom ersten Schauer der heraufkommenden Nacht
berührt. Die Gebüsche wurden schwarz und rannen in dunkle Wogen zusam-
men, und die Bäume, deren Wipfel die ferne Hügellinie überschnitten, reckten sich mit ungeahnten, bei Tage nie gesehenen Formen dunkel und mit einer
stummen Leidenschaft in den lichteren Himmel. Die vielfältige, fruchtbare
Landschaft verlor ihr friedlich buntes zerstreutes Wesen mehr und mehr und
rückte in großen, fest geschlossenen Massen zusammen. Die entfernten Berge
sprangen kühner und entschlossener empor, die Ebene lag schwärzlich hinge-
breitet und ließ nur noch die stärkeren Schwellungen des Bodens durchfühlen.
Vor den Fenstern kämpfte das noch vorhandene Tageslicht müde mit dem
herabfallenden Lampenschimmer.
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Paul stand in dem offenen Türflügel und schaute zu, ohne viel Aufmerksam-
keit und ohne viel dabei zu denken. Er dachte wohl, aber nicht an das, was er sah. Er sah es Nacht werden. Aber er konnte nicht fühlen, wie schön es war. Er war zu jung und lebendig, um so etwas hinzunehmen und zu betrachten und
und sein Genüge daran zu finden. Woran er dachte, das war eine Nacht am
nordischen Meer. Am Strande zwischen schwarzen Bäumen wälzt der düster
lodernde Tempelbrand Glut und Rauch gen Himmel, an den Felsen bricht sich
die See und spiegelt wilde rote Lichter, im Dunkel enteilt mit vollen Segeln ein Wikingerschiff.
Nun, Junge , rief der Vater,
was hast du denn heut wieder für einen
Schmöker draußen gehabt?
O, den Frithjof!
So, so, lesen das die jungen Leute noch immer? Herr Homburger, wie
denken Sie darüber? Was hält man heutzutage von diesem alten Schweden?
Gilt er noch?
Sie meinen Esajas Tegner?
Ja, richtig, Esajas. Nun?
Ist tot, Herr Abderegg, vollkommen tot.
Das glaub ich gerne! Gelebt hat der Mann schon zu meinen Zeiten nicht
mehr, ich meine damals, als ich ihn las. Ich wollte fragen, ob er noch Mode
ist.
Ich bedaure, über Mode und Moden bin ich nicht unterrichtet. Was die
wissenschaftlich-ästhetische Wertung betrifft –
Nun ja, das meinte ich. Also die Wissenschaft – –?
Die Literaturgeschichte verzeichnet jenen Tegner lediglich noch als Namen.
Er war, wie Sie sehr richtig sagten, eine Mode. Damit ist ja alles gesagt.
Das Echte, Gute ist nie Mode gewesen, aber es lebt. Und Tegner ist, wie ich
sagte, tot. Er existiert für uns nicht mehr. Er scheint uns unecht, geschraubt, süßlich . . .
Paul wandte sich heftig um.
Das kann doch nicht sein, Herr Homburger!
Darf ich fragen, warum nicht?
Weil es schön ist! Ja, es ist einfach schön.
So? Das ist aber doch kein Grund, sich so aufzuregen.
Aber Sie sagen, es sei süßlich und habe keinen Wert. Und es ist doch
wirklich schön.
Meinen Sie? Ja, wenn Sie so felsenfest wissen, was schön ist, sollte man
Ihnen einen Lehrstuhl einräumen. Aber wie Sie sehen, Paul diesmal stimmt
Ihr Urteil nicht mit der Ästhetik überein. Sehen Sie, es ist gerade umgekehrt wie mit Thucydides. Den findet die Wissenschaft schön, und Sie finden ihn
schrecklich. Und den Frithjof –
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Ach, das hat doch mit der Wissenschaft nichts zu tun.
Es gibt nichts, schlechterdingsnichts in der Welt, womit die Wissenschaft
nicht zu tun hätte. – Aber, Herr Abderegg, Sie erlauben wohl daß ich mich
empfehle.
Schon?
Ich sollte noch etwas schreiben.
Schade, wir wären gerade so nett ins Plaudern gekommen. Aber über alles
die Freiheit! Also gute
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