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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Sie ist voll von Lauten, aber es sind
    dunkle, gedämpfte, geheimnisvolle Laute der Nacht, während in der Stadt
    die Nachtgeräusche sich von denen des Tages so bitter wenig unterscheiden.
    Es ist das Singen der Frösche, das Rauschen der Bäume, das Plätschern des
    Baches, der Flug eines Nachtvogels, einer Fledermaus. Und wenn etwa einmal
    ein verspäteter Leiterwagen vorüberjagt oder ein Hofhund anschlägt, so ist es 297
    ein erwünschter Gruß des Lebens und wird majestätisch von der Weite des
    Luftraums gedämpft und verschlungen.
    Der Hauslehrer hatte noch Licht brennen und ging unruhig und müde in der
    Stube auf und ab. Er hatte den ganzen Abend bis gegen Mitternacht gelesen.
    Dieser junge Herr Homburger war nicht, was er schien oder scheinen wollte.
    Er war kein Denker. Er war nicht einmal ein wissenschaftlicher Kopf. Aber er hatte einige Gaben, und er war jung. So konnte es ihm, in dessen Wesen es
    keinen befehlenden und unausweichlichen Schwerpunkt gab, an Idealen nicht
    fehlen.
    Zur Zeit beschäftigten ihn einige Bücher, in welchen merkwürdig schmiegsa-
    me Jünglinge sich einbildeten, Bausteine zu einer neuen Kultur aufzutürmen,
    indem sie in einer weichen, Wohllauten Sprache bald Ruskin, bald Nietzsche
    um allerlei kleine, schöne, leicht tragbare Kleinode bestahlen. Diese Bücher waren viel amüsanter zu lesen als Ruskin und Nietzsche selber, sie waren von koketter Grazie, groß in kleinen Nuancen und von seidig vornehmem Glanze.
    Und wo es auf einen großen Wurf, auf Machtworte und Leidenschaft ankam,
    zitierten sie Dante oder Zarathustra.
    Deshalb war auch Homburgers Stirn umwölkt, sein Auge müde wie vom
    Durchmessen ungeheurer Räume und sein Schritt erregt und ungleich. Er
    fühlte, daß an die ihn umgebende schale Alltagswelt allenthalben Mauerbre-
    cher gelegt waren und daß es galt, sich an die Propheten und Bringer der
    neuen Seligkeit zu halten. Schönheit und Geist würden ihre Welt durchfluten, und jeder Schritt in ihr würde von Poesie und Weisheit triefen.
    Vor seinen Fenstern lag und wartete der gestirnte Himmel, die schweben-
    de Wolke, der träumende Park, das schlafend atmende Feld und die ganze
    Schönheit der Nacht. Sie wartete darauf, daß er ans Fenster trete und sie
    schaue. Sie wartete darauf, sein Herz mit Sehnsucht und Heimweh zu verwun-
    den, seine Augen kühl zu baden, seiner Seele gebundene Flügel zu lösen. Er
    legte sich aber ins Bett, zog die Lampe näher und las im Liegen weiter.
    Paul Abderegg hatte kein Licht mehr brennen, schlief aber noch nicht, son-
    dern saß im Hemd auf dem Fensterbrett und schaute in die ruhigen Baumkro-
    nen hinein. Den Helden Frithjof hatte er vergessen. Er dachte überhaupt an
    nichts Bestimmtes, er genoß nur die späte Stunde, deren reges Glücksgefühl
    ihn noch nicht schlafen ließ. Wie schön die Sterne in der Schwärze standen!
    Und wie der Vater heute wieder gespielt hatte! Und wie still und märchenhaft der Garten da im Dunkeln lag!
    Die Juninacht umschloß den Knaben zart und dicht, sie kam ihm still ent-
    gegen, sie kühlte, was noch in ihm heiß und flammend war. Sie nahm ihm leise den Überfluß seiner Jugend ab, bis seine Augen ruhig und seine Schläfen kühl wurden, und dann blickte sie ihm lächelnd als eine gute Mutter in die Augen.
    Er wußte nicht mehr, wer ihn anschaue und wo er sei, er lag schlummernd
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    auf dem Lager, atmete tief und schaute gedankenlos hingegeben in große, stil-le Augen, in deren Spiegel Gestern und Heute zu wunderlich verschlungenen
    Bildern und schwer zu entwirrenden Sagen wurden.
    Auch des Kandidaten Fenster war nun dunkel. Wenn jetzt etwa ein Nacht-
    wanderer auf der Landstraße vorüberkam und Haus und Vorplatz, Park und
    Garten lautlos im Schlummer liegen sah, konnte er wohl mit einem Heimweh
    herüberblicken und sich des ruhevollen Anblicks mit halbem Neide freuen.
    Und wenn es ein armer, obdachloser Fechtbruder war, konnte er unbesorgt
    in den arglos offenstehenden Park eintreten und sich die längste Bank zum
    Nachtlager aussuchen.
    Am Morgen war diesmal gegen seine Gewohnheit der Hauslehrer vor allen
    andern wach. Munter war er darum nicht. Er hatte sich mit dem langen Le-
    sen bei Lampenlicht Kopfweh geholt; als er dann endlich die Lampe gelöscht
    hatte, war das Bett schon zu warmgelegen und zerwühlt zum Schlafen, und
    nun stand er nüchtern und fröstelnd mit matten Augen auf. Er fühlte deut-
    licher als je die Notwendigkeit einer neuen Renaissance, hatte aber für

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