Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
lebhaft redenden Professor, dann mit
    einiger Scheu die beiden Mädchen.
    Der Professor gefiel ihm, schon weil er wußte, daß er ein Duzfreund sei-
    nes Vaters war. Im übrigen fand er ihn ein wenig streng und ältlich, aber
    nicht zuwider und jedenfalls unsäglich gescheit. Viel schwerer war es, über
    die Mädchen ins reine zu kommen. Die eine war eben schlechthin ein junges
    Mädchen, ein Backfisch, jedenfalls ziemlich gleich alt wie er selber. Es würde nur darauf ankommen, ob sie von der spöttischen oder gutmütigen Art war,
    je nachdem würde es Krieg oder Freundschaft zwischen ihm und ihr geben.
    Im Grunde waren ja alle jungen Mädchen dieses Alters gleich, und es war
    mit allen gleich schwer zu reden und auszukommen. Es gefiel ihm, daß sie
    wenigstens still war und nicht gleich einen Sack voll Fragen auskramte.
    Die andere gab ihm mehr zu raten. Sie war, was er freilich nicht zu be-
    rechnen verstand, vielleicht drei- oder vierundzwanzig und gehörte zu der Art von Damen, welche Paul zwar sehr gerne sah und von weitem betrachtete,
    deren näherer Umgang ihn aber scheu machte und meist in Verlegenheiten
    verwickelte. Er wußte an solchen Wesen die natürliche Schönheit durchaus
    nicht von der eleganten Haltung und Kleidung zu trennen, fand ihre Gesten
    und ihre Frisuren meist affektiert und vermutete bei ihnen eine Menge von
    überlegenen Kenntnissen über Dinge, die ihm tiefe Rätsel waren.
    Wenn er genau darüber nachdachte, haßte er diese ganze Gattung. Sie sa-
    hen alle schön aus, aber sie hatten auch alle die gleiche demütigende Zierlichkeit und Sicherheit im Benehmen, die gleichen hochmütigen Ansprüche und
    die gleiche geringschätzende Herablassung gegen Jünglinge seines Alters. Und wenn sie lachten oder lächelten, was sie sehr häufig taten, sah es oft so unleidlich maskenhaft und verlogen aus. Darin waren die Backfische doch viel
    erträglicher.
    Am Gespräch nahm außer den beiden Männern nur Fräulein Thusnelde –
    das war die ältere, elegante – teil. Die kleine blonde Berta schwieg ebenso
    scheu und beharrlich wie Paul, dem sie gegenübersaß. Sie trug einen großen,
    weich gebogenen, ungefärbten Strohhut mit blauen Bändern und ein blaßblau-
    es, dünnes Sommerkleid mit losem Gürtel und schmalen weißen Säumen. Es
    schien, als sei sie ganz in den Anblick der sonnigen Felder und heißen Heuwiesen verloren.
    Aber zwischenein warf sie häufig einen schnellen Blick auf Paul. Sie wäre
    noch einmal so gern mit nach Erlenhof gekommen, wenn nur der Junge nicht
    gewesen wäre. Er sah ja sehr ordentlich aus, aber gescheit, und die Geschei-
    ten waren doch meistens die Widerwärtigsten. Da würde es gelegentlich so
    301
    heimtückische Fremdwörter geben und auch solche herablassende Fragen, et-
    wa nach dem Namen einer Feldblume, und dann, wenn sie ihn nicht wußte,
    so ein unverschämtes Lächeln, und so weiter. Sie kannte das von ihren zwei
    Vettern, von denen einer Student und der andere Gymnasiast war, und der
    Gymnasiast war eher der schlimmere, einmal bubenhaft ungezogen und ein
    andermal von jener unausstehlich höhnischen Kavaliershöflichkeit, vor der sie so Angst hatte.
    Eins wenigstens hatte Berta gelernt, und sie hatte beschlossen, sich auch
    jetzt auf alle Fälle daran zu halten: weinen durfte sie nicht, unter keinen
    Umständen. Nicht weinen und nicht zornig werden, sonst war sie unterlegen.
    Und das wollte sie hier um keinen Preis. Es fiel ihr tröstlich ein, daß für alle Fälle auch noch eine Tante da sein würde; an die wollte sie sich dann zum
    Schutz wenden, falls es nötig werden sollte.
    Paul, bist du stumm?
    rief Herr Abderegg plötzlich.
    Nein, Papa. Warum?
    Weil du vergißt, daß du nicht allein im Wagen sitzt. Du könntest dich der
    Berta schon etwas freundlicher zeigen.
    Paul seufzte unhörbar. Also nun fing es an.
    Sehen Sie, Fräulein Berta, dort hinten ist dann unser Haus.
    Aber Kinder, ihr werdet doch nicht Sie zueinander sagen!
    Ich weiß, nicht, Papa – ich glaube doch.
    Na, dann weiter! Ist aber recht überflüssig.
    Berta war rot geworden, und kaum sah es Paul, so ging es ihm nicht anders.
    Die Unterhaltung zwischen ihnen war schon wieder zu Ende, und beide waren
    froh, daß die Alten es nicht merkten. Es wurde ihnen unbehaglich, und sie
    atmeten auf, als der Wagen mit plötzlichem Krachen auf den Kiesweg einbog
    und am Hause vorfuhr.
    Bitte, Fräulein , sagte Paul und half Berta beim Aussteigen. Damit war er
    der Sorge um sie fürs erste entledigt,

Weitere Kostenlose Bücher