Die Erzaehlungen 1900-1906
Schifflein nicht los: es waren auch schon längst keine Ruder mehr da. Er tauchte die Hände ins Wasser, das war widerlich lau.
Unvermerkt überkam ihn eine grundlose Traurigkeit, die ihm ganz fremd
war. Er kam sich wie in einem beklemmenden Traume vor – als könnte er,
wenn er auch wollte, kein Glied rühren. Das fahle Licht, der dunkel bewölkte Himmel, der laue dunstige Teich und der alte, am Boden moosige Holznachen
ohne Ruder, das sah alles unfroh, trist und elend aus, einer schweren, faden Trostlosigkeit hingegeben, die er ohne Grund teilte.
Er hörte Klavierspiel vom Hause herübertönen, undeutlich und leise. Nun
waren also die andern drinnen, und wahrscheinlich spielte Papa ihnen vor.
Bald erkannte Paul auch das Stück, es war aus Griegs Musik zum
Peer
Gynt , und er wäre gern hineingegangen. Aber er blieb sitzen, starrte über
das träge Wasser weg und durch die müden, regungslosen Obstzweige in den
fahlen Himmel. Er konnte sich nicht einmal wie sonst auf das Gewitter freuen, obwohl es sicher bald ausbrechen mußte, und das erste richtige in diesem
Sommer sein würde.
Da hörte das Klavierspiel auf, und es war eine Weile ganz still. Bis ein paar zarte, wiegend laue Takte aufklangen, eine scheue und ungewöhnliche Musik.
Und nun Gesang, eine Frauenstimme. Das Lied war Paul unbekannt, er hatte
es nie gehört, er besann sich auch nicht darüber. Aber die Stimme kannte er, die leicht gedämpfte, ein wenig müde Stimme. Das war Thusnelde. Ihr Gesang
war vielleicht nichts Besonderes, aber er traf und reizte den Knaben ebenso
beklemmend und quälend wie die Berührung ihrer Hand. Er horchte, ohne sich
zu rühren, und während er noch saß und horchte, schlugen die ersten trägen
Regentropfen lau und schwer in den Weiher. Sie trafen seine Hände und sein
Gesicht, ohne daß er es spürte. Er fühlte nur, daß etwas Drängendes, Gärendes, Gespanntes um ihn her oder auch in ihm selber sich verdichte und schwelle
und Auswege suche. Zugleich fiel ihm eine Stelle aus dem
Ekkehard
ein,
und in diesem Augenblick überraschte und erschreckte ihn plötzlich die sichere Erkenntnis. Er wußte, daß er Thusnelde lieb habe. Und zugleich wußte er, daß sie erwachsen und eine Dame war, er aber ein Schuljunge, und daß sie morgen
abreisen würde.
Da klang – der Gesang war schon eine Weile verstummt – die helltönige
Tischglocke, und Paul ging langsam zum Hause hinüber. Vor der Türe wischte
er sich die Regentropfen von den Händen, strich das Haar zurück und tat einen tiefen Atemzug, als sei er im Begriff, einen schweren Schritt zu tun.
Ach, nun regnet es doch schon , klagte Berta.
Nun wird also nichts dar-
aus?
Aus was denn?
fragte Paul, ohne vom Teller aufzublicken.
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Wir hatten ja doch – Sie hatten mir versprochen, mich heut auf den Ei-
chelberg zu führen.
Ja so. Nein, das geht bei dem Wetter freilich nicht.
Halb sehnte sie sich danach, er möchte sie ansehen und eine Frage nach
ihrem Wohlsein tun, halb war sie froh, daß er’s nicht tat. Er hatte den peinlichen Augenblick unter der Weide, da sie in Tränen ausgebrochen war, völlig vergessen. Dieser plötzliche Ausbruch hatte ihm ohnehin wenig Eindruck gemacht und ihn nur in dem Glauben bestärkt, sie sei doch noch ein recht kleines Mädchen. Statt auf sie zu achten, schielte er beständig zu Fräulein Thusnelde hinüber.
Diese führte mit dem Hauslehrer, der sich seiner albernen Rolle von gestern
schämte, ein lebhaftes Gespräch über Sportsachen. Es ging Herrn Homburger
dabei wie vielen Leuten; er sprach über Dinge, von denen er nichts verstand, viel gefälliger und glatter als über solche, die ihm vertraut und wichtig waren.
Meistens hatte die Dame das Wort, und er begnügte sich mit Fragen, Nicken,
Zustimmen und pausenfüllenden Redensarten. Die etwas kokette Plauderkunst
der jungen Dame enthob ihn seiner gewohnten dickblütigen Art; es gelang ihm
sogar, als er beim Weineinschenken daneben goß, selber zu lachen und die
Sache leicht und komisch zu nehmen. Seine mit Schlauheit eingefädelte Bitte
jedoch, dem Fräulein nach Tisch ein Kapitel aus einem seiner Lieblingsbücher vorlesen zu dürfen, wurde zierlich abgelehnt.
Du hast kein Kopfweh mehr, Kind?
fragte Tante Grete.
O nein, gar nimmer , sagte Berta halblaut. Aber sie sah noch elend genug
aus.
O ihr Kinder!
dachte die Tante, der auch Pauls erregte Unsicherheit
nicht entgangen war. Sie hatte mancherlei Ahnungen und beschloß, die zwei
jungen
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