Die Erzaehlungen 1900-1906
umgekleidet. Dann wartete er bis die
drei ins Haus zurückehrten, und als sie kamen und als Thusneldes Stimme im
Gang laut wurde, schrak er zusammen und bekam Herzklopfen. Dennoch tat
er gleich darauf etwas, wozu er sich selber noch einen Augenblick zuvor den
Mut nicht zugetraut hätte.
Als das Fräulein allein die Treppe heraufstieg, lauerte er ihr auf und über-
raschte sie im oberen Flur. Er trat auf sie zu und streckte ihr einen kleinen Rosenstrauß entgegen. Es waren wilde Heckenröschen, die er im Regen draußen
abgeschnitten hatte.
Ist das für mich?
fragte Thusnelde.
Ja, für Sie.
Womit hab ich denn das verdient? Ich fürchtete schon, Sie könnten mich
gar nicht leiden.
O, Sie lachen mich ja nur aus.
Gewiß nicht, lieber Paul. Und ich danke schön für die Blumen. Wilde
Rosen, nicht?
Hagrosen.
Ich will eine davon anstecken, nachher.
Dann ging sie weiter nach ihrem Zimmer.
Am Abend blieb man diesmal in der Halle sitzen. Es hatte schön abgekühlt,
315
und draußen fielen noch die Tropfen von den blankgespülten Zweigen. Man
hatte im Sinn gehabt zu musizieren, aber der Professor wollte lieber die paar Stunden noch mit Abderegg verplaudern. So saßen nun alle bequem in dem
großen Raum, die Herren rauchten, und die jungen Leute hatten Limonade-
becher vor sich stehen.
Die Tante sah mit Berta ein Album an und erzählte ihr alte Geschichten.
Thusnelde war guter Laune und lachte viel. Den Hauslehrer hatte das lange
erfolglose Reden im Pavillon stark mitgenommen, er war wieder nervös und
zuckte leidend mit den Gesichtsmuskeln. Daß sie jetzt so lächerlich mit dem
Büblein Paul kokettierte, fand er geschmacklos, und er suchte wählerisch nach einer Form, ihr das zu sagen.
Paul war der lebhafteste von allen. Daß Thusnelde seine Rosen im Gürtel
trug und daß sie
lieber Paul
zu ihm gesagt hatte, war ihm wie Wein zu
Kopf gestiegen. Er machte Witze, erzählte Geschichten, hatte glühende Backen und ließ den Blick nicht von seiner Dame, die sich seine Huldigung so graziös gefallen ließ. Dabei rief es im Grund seiner Seele ohne Unterlaß:
Morgen geht
sie fort! Morgen geht sie fort!
und je lauter und schmerzlicher es rief, desto
sehnlicher klammerte er sich an den schönen Augenblick, und desto lustiger
redete er darauf los.
Herr Abderegg, der einen Augenblick herüberhorchte, rief lachend:
Paul,
du fängst früh an!
Er ließ sich nicht stören. Für Augenblicke faßte ihn ein drängendes Verlan-
gen, hinauszugehen, den Kopf an den Türpfosten zu lehnen und zu schluchzen.
Aber nein, nein!
Währenddessen hatte Berta mit der Tante
Du
gemacht und gab sich
dankbar unter ihren Schutz. Es lag wie eine Last auf ihr, daß Paul allein von ihr nichts wissen wollte, daß er den ganzen Tag kaum ein Wort an sie gerichtet hatte, und müde und unglücklich überließ sie sich der gütigen Zärtlichkeit der Tante.
Die beiden alten Herren überboten einander im Aufwärmen von Erinnerun-
gen und spürten kaum etwas davon, daß neben ihnen junge unausgesprochene
Leidenschaften sich kreuzten und bekämpften.
Herr Homburger fiel mehr und mehr ab. Daß er hin und wieder eine schwach
vergiftete Pointe ins Gespräch warf, wurde kaum beachtet, und je mehr die
Bitterkeit und Auflehnung in ihm wuchs, desto weniger wollte es ihm gelingen, Worte zu finden. Erfand es kindisch, wie Paul sich gehen ließ, und unverzeihlich, wie das Fräulein darauf einging. Am liebsten hätte er gute Nacht gesagt und wäre gegangen. Aber das mußte aussehen wie ein Geständnis, daß er sein
Pulver verschossen habe und kampfunfähig sei. Lieber blieb er da und trotz-
te. Und so widerwärtig ihm Thusneldes ausgelassen spielerisches Wesen heute
abend war, so hätte er sich doch vom Anblick ihrer weichen Gesten und ihres
316
schwach geröteten Gesichtes jetzt nicht trennen mögen.
Thusnelde durchschaute ihn und gab sich keine Mühe, ihr Vergnügen über
Pauls leidenschaftliche Aufmerksamkeiten zu verbergen, schon weil sie sah,
daß es den Kandidaten ärgerte. Und dieser, der in keiner Hinsicht ein Kraft-
mensch war, fühlte langsam seinen Zorn in jene weibisch trübe, faule Resi-
gnation übergehen, mit der bis jetzt fast alle seine Liebesversuche geendet
hatten. War er denn je von einem Weib verstanden und nach seinem Wert
geschätzt worden? O, aber er war Künstler genug, um auch die Enttäuschung,
den Schmerz, das Einsambleiben mit allen verborgensten Reizen zu genießen.
Wenn auch mit zuckender
Weitere Kostenlose Bücher