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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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einfaches Wesen ins Auge, so daß ich sie bald den Madonnen
    des Quattrocento, denen zuliebe ich hergereist war, ohne Schwanken vorzog.
    Es fügte sich, daß ich schließlich täglich ins Haus kam, oft mit deutschen
    Freunden, oft allein.
    Da fiel mir denn eines Tages der zweibändige Novalis in die Hände. Geltner
    war erstaunt, als ich ihm erzählte, daß der scheinbar verschollene Roman-
    tiker neuestens in Deutschland wieder verehrt und gelesen werde. Manchen
    Abend saßen wir nun in dem kleinen, ummauerten Garten um den schattigen
    Steintisch, und ich las die feinen, tiefen Gedichte des alten Novalis vor. Über dieser Lektüre kam ich oft mit der Tochter Maria ins Gespräch, und in diesen Gesprächen kamen wir einander so nah, daß ich von Tag zu Tag mich selber
    wunderte, mit ihr noch nicht von Liebe gesprochen zu haben. Es waren schöne
    Märchentage, wie mir seither keine mehr geworden sind.
    Um diese Zeit traf mein Freund Gustav Merkel in Florenz ein. Wir begrüßten
    uns herzlich und lebten die ersten Tage nur füreinander. Er war ein lieber
    und flotter Mensch, beweglich, hübsch, geistreich, dabei gutmütig, und wir
    haben manchen Fiasko Landwein burschikos unter Geplauder und Gesang
    miteinander ausgetrunken.
    Die Sehnsucht nach Maria trieb mich bald wieder in ihr Haus. Ich brachte
    Merkel mit, der dort gefiel und bald gleich mir fast alltäglich bei Geltners verkehrte.
    Eines Abends las ich nun dort die
    Lehrlinge zu Sais
    vor. In der daran
    anschließenden Unterhaltung machte Gustav einen wenig ehrerbietigen Witz
    über Novalis und seine Dichtung, der mir weh tat. Da zu meinem Erstau-
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    nen Maria nicht widersprach, sondern sogar mitlachte, hielt ich an mich und
    schwieg. Als aber Gustav weggegangen war, trat ich im Garten zu ihr und
    hielt es ihr vor. Sie war ein wenig verlegen und vermied meinen Blick.
    Sie haben ja recht , sagte sie.
    Aber sehen Sie, Ihr Freund ist zu gescheit
    und vor allem zu witzig, als daß man ihm widersprechen könnte. Ich mußte
    einfach mitlachen. Und wozu sollte ich auch mit so liebenwürdigen Gästen
    Streit anfangen?
    Aber war es nicht wie ein Verrat, Maria?
    Sie sind komisch!
    und dann:
    Andiamo!
    Mehr sagte sie nicht. Aber als ich nun gute Nacht sagte und langsam durch
    den Corso dei Tintori nach Hause ging, war ich froh, daß ich noch nie mit
    Maria über meine Liebe gesprochen hatte, und hatte eine schlechte Nacht.
    Es ging alles rasch und ruhig seinen Gang, und ich sah mit sonderbar ge-
    spannter Neugierde zu. Ich sah, wie Gustav immer häufiger zu Tisch geladen
    wurde und neben Maria zu sitzen kam. Ich sah, wie er abends mit ihr im Gar-
    ten spazierte, ich sah ihn in der Badia eine Bleistiftkopie des schönen Sankt Bernhardskopfes von Filippino Lippi anfertigen und in den Trödlerläden alte
    Emailsachen kaufen, die er ihr dann schenkte. Und eines Tages sah ich auch die Einladungskarte zu ihrem Verlobungsfest, von Maria selber geschrieben, vor
    mir auf meinem Schreibtisch liegen. Draußen klang laut das Straßengetriebe
    der fröhlichen Stadt Florenz und flogen helle, leichte Wolken zärtlich spielend durch die warme Luft, ich aber saß lang und las immer wieder diese freundlichen, kurzen, entzückend nett geschriebenen Zeilen der Einladungskarte. Am
    Abend ging ich hin und gratulierte.
    Noch einmal tauchte in dieser Umgebung der Novalis auf, das war am fol-
    genden Abend. Ich habe es nicht vergessen. Wir saßen noch beim Obst und
    plauderten, woran ich freilich wenig teilnahm. Ich schnitzelte seit einer Viertelstunde zerstreut und traurig an einem großen Pfirsich herum, mit einem
    winzigen Obstmesserchen, dessen bronzener Griff die Form der Florentiner
    Wappenlilie hatte. Da stand Gustav vom Stuhl auf, holte den Novalis herbei
    und fing an zu blättern.
    Ich muß doch zeigen , sagte er lächelnd,
    daß ich kein Barbar bin, sondern
    eurem alten Symbolisten doch auch einen Reiz abgewonnen habe. Ich las dieser Tage in dem Schmöker und fand ein wundervolles Gedicht, das ich euch – und
    speziell dir, Maria – vorlesen möchte.
    Mir wurde sehr schwül ums Herz, denn ich ahnte wohl, welches Gedicht es
    sein würde – dasselbe, das ich einst im Sinn gehabt hatte, bei guter Gelegenheit der schönen Maria vorzulesen. Ich hatte es aber nie gewagt.
    Richtig, er las es, und Maria hielt den Blick ihrer großen, schönen Augen
    auf ihn gerichtet und lächelte, und ich Unbeteiligter litt in dieser Minute mehr als in allen den vorhergegangenen Tagen. Er las:
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    Ich sehe

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