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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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irgendwelchen lite-rarhistorischen Studien auf Novalis aufmerksam geworden sein. Dessen Werke
    wurden ihm denn nun von Hause zugeschickt.
    Unser Exemplar zeigt keine Spuren, die auf einen starken damaligen Ge-
    brauch schließen lassen, vor allem keinerlei Notizen aus den folgenden Jahren.
    Es scheint, daß der Dichter auf den in jener antiromantischen Zeit erwachse-
    nen Studenten wenig Eindruck gemacht habe. In seinem Besitze schlummerte
    das Buch, wie ein Edelstein schlummert, solange kein Lichtstrahl seine ver-
    borgenen Feuer weckt. Es scheint damals sogar manchmal Mißbrauch gelitten
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    zu haben, denn jenen Tübinger Jahren schreibe ich die Verwahrlosung der
    Einbände zu, welche manche verwischte Halbkreise und Kreise wie von darauf-
    gestellten Trinkgläsern aufweisen. Dennoch blieb mein Novalis noch manche
    Jahre im Besitz des jüngeren Brachvogel und erlebte sogar dessen teilweise
    Bekehrung.
    Dieser Brachvogel junior war ein kühler, kritischer Geist und von früh an
    ein wenig Sonderling. Er hatte kaum sein Tübinger Examen gemacht, als der
    Vater plötzlich einer kurzen Krankheit erlag. Die Mutter war schon ein Jahr
    zuvor gestorben, nach einer fünfundzwanzigjährigen Ehe noch schön und von
    Freunden bewundert. Der junge Gelehrte sah sich plötzlich verwaist und auf
    sich selbst gestellt. Von seiner Neigung getrieben und durch ein beträchtliches Vermögen unabhängig gemacht, verließ er bald die Heimat und reiste allein
    nach dem Süden. Wohl nur ein Zufall war es, daß beim Verkauf der väterlichen Bibliothek der Novalis zurückblieb und mit in die Reisekoffer kam.
    Über die nun folgenden Jahre gab mir ein Tagebuch genauere Nachricht, das
    Brachvogel während seiner italienischen Jahre ziemlich fleißig führte. Doch
    ist nur auf den letzten Blättern desselben flüchtig von unserem Novalis die
    Rede. Brachvogel hielt sich mehrere Jahre in Rom auf, besuchte Süditalien und Sizilien und schien wenig mehr an die Heimat und Vergangenheit zu denken.
    Wenigstens berichtet sein Tagebuch nur von italienischen Angelegenheiten,
    Studien und Reisen, und berührt das Gedächtnis der Eltern fast nur jeweils bei der Wiederkehr ihrer Todestage. Im fünften Jahre seiner Abwesenheit jedoch
    scheint je und je ein Hauch von Heimweh dem Vereinsamten das Herz bewegt
    zu haben.
    Damals hielt er sich mehrere Monate in Venedig auf, mit Bibliothekstudien
    beschäftigt, während die Welt von Tag zu Tag lebhafter durch die Nachrich-
    ten vom französischen Krieg erregt wurde. Ohne daß ihn diese eben stark
    erschüttert hätten, ward doch der gelehrte Sonderling mehr als sonst des fernen Vaterlandes erinnert, und es kamen Stunden, in denen Jugendgedenken
    und Heimaterinnerung ihn überraschten. In einem dieser Augenblicke fiel ihm
    der ganz vergessene Dichter durch Zufall wieder in die Hand. Schlicht und
    rauh berichtet davon das Tagebuch:
    Heute fand ich unter den Schmökern im unteren Kasten den alten Novalis
    und fühlte Lust, nach Jahren wieder einmal etwas der Art zu lesen. Unter den Fragmenten fielen mir einige geistreiche unter vielem Wust von Phantastereien auf. Dann begann ich den sonderbaren Ofterdingen zu lesen.
    Und zehn Tage später:
    Fortsetzung der Novalislektüre bis zum Schluß des ersten Teiles vom Of-
    terdingen. Ich hatte lange keinen deutschen Dichter mehr gelesen und kann
    mich nun dem eigentümlichen Eindruck nicht ganz entziehen.
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    Es scheint, daß Brachvogel dem Dichter längere Zeit treu geblieben ist. Eines Tages wenigstens nahm er ihn, in Florenz, wieder zur Hand und fand das
    Märchen von Hyazinth und Rosenblüte. Er fand denn auch jene Stelle, an
    welcher vor mehr als dreißig Jahren sein Vater das Datum eines Bebenhauser
    Maitages eingeschrieben hatte, und schrieb daneben:
    Settignano bei Florenz,
    19. Juni 1873.
    Nun hatte er in Florenz einen Freund. Es war ein Deutscher, namens Hans
    Geltner, der mit einer Toskanerin verheiratet war. Dieser saß im Winter 1874
    im Spital am Krankenbett Brachvogels und sah ihn am 2. März 1875 dort
    sterben. Er erbte mit ein paar anderen deutschen Büchern auch den Novalis,
    der nun wieder vergessen und ungebraucht jahrelang im Regal stand.
    Während dieser Jahre war in Geltners Hause eine schöne, blonde Tochter
    herangewachsen, die ich selber noch wohl gekannt habe. Sie war schlank und
    von ganz deutscher Schönheit, und fand beizeiten manche Verehrer.
    Als ich damals nach Florenz kam und die Geltners besuchte, stach auch
    mir ihr schönes,

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