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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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weißt du. Ich bin bis Mailand
    gekommen, und da waren meine Stiefel kaputt. Ein elendes Nest, das Mailand,
    weißt du, nichts als Kitsch. Ich kam auch mit dem Italienischen nicht recht
    zuweg.
    Und da bist du umgekehrt?
    Nun ja – das heißt, laß mich erst ausreden! Also Mailand war nichts. Aber
    da ist ja in der Nähe diese sogenannte Certosa, so zwischen Mailand und Pavia, bloß ein paar Stunden weit, mit einer furchtbar berühmten Fassade, sie soll
    das Schönste in ganz Oberitalien sein. Das wollte ich doch noch sehen. Ich
    lief also hin, die staubigste, flachste und langweiligste Landstraße der Welt, verirrte mich auch noch und kam also endlich in das Dorf. Torre heißt es,
    und die Certosa liegt so zehn Minuten davon. Na, die Fassade – was soll
    ich sagen? Romanisch oder so, sagt man. Sie ist auch ganz gut, im Ganzen,
    aber sonst der reine Raritätenkasten, mit lauter solchen klassischen Figuren und Porträtreliefs und Ornamenten. Alles klein, zierlich, miniatürlich, und
    dahinter kommt dann eine protzige Kirche und das Kloster. Ich dachte, so ein Kloster in Italien, so ein großes, reiches, da muß schon was dran sein. Aber nichts! Ein Geschachtel und Gewinsel, Kreuzgänge wie Kasernenhöfe, groß
    und flach und tot und langweilig. Und ich hatte noch einen Franken gezahlt
    fürs Ansehen.
    Er lachte ärgerlich.
    Da bin ich umgekehrt und über den Simplon heim. Es war ein Umweg,
    aber die Seen und all das malerische Zeug dort in Oberitalien hatte ich über.
    Im Wallis wars dann schön! Und jetzt bin ich wieder da.
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    Und sonst hast du von Italien nichts gesehen?
    Nein, eigentlich nicht. Weißt du, die Architektur – das war mir verleidet,
    das meiste ist ja solche Renaissance. Und zu Fuß kommt man eben nicht
    recht vorwärts. Eins hätte ich gern gesehen, das Meer! Ich denke mir so eine Felsenküste, gelb und steil, es muß was drin stecken, etwas von Kampf und
    Versöhnung, Wucht, Stil. Aber es war noch weit, und dort um Genua herum
    ist doch alles versaut und verbaut mit Hotelnestern, da gab ichs lieber auf.
    Ja. Und jetzt?
    Ja so, ich will da Platz machen, daß wir trinken können.
    Du hast schon wieder Arbeit vor?
    Natürlich. Jetzt war ich doch zwölf Wochen unterwegs und kam zu nichts.
    Was machst du denn Neues?
    Ach, laß nur!
    Nein, her damit! Wieder eine Stadt?
    Mach doch keine Scherze, du! Ich kann ja schließlich nicht immer bloß
    Städte entwerfen.
    Also was?
    Er lächelte und genierte sich, wie immer. Dann sagte er leise:
    Ein Kloster.
    Herrgott, Mann! Ein Kloster!
    Ja, warum nicht?
    Warum nicht! Man baut doch keine Klöster mehr.
    Nicht? Aber das wäre doch einerlei. Man könnte es ja als Schule oder so
    verwenden, als Universität oder Institut, nicht?
    Kann schon sein.
    Nicht wahr? – Siehst du, das Schönste wäre ja, eine ganze Stadt oder ein
    Dorf zu machen, aber dazu kommt man doch nie! Ein einzelnes Haus ist ja
    nichts! Nun wäre so etwas wie ein Kloster die einzige Möglichkeit. Da könnte man etwas Ganzes, Überlegtes und Abgeschlossenes bauen, einen durchdach-ten Komplex, wuchtig und eins aus dem andern.
    Wie bist du denn darauf gekommen?
    Nun, wir sprachen ja davon. Dort bei Mailand.
    Bei der Certosa?
    Ja freilich. Man kann so etwas viel schöner machen. Schade, daß du nichts
    von Grundrissen verstehst. Ich habe da einen, der macht mir eine Riesenfreu-
    de.
    Wir sehen ihn später an. Jetzt könnten wir aber einen Elsässer trinken.
    Hast du Geld?
    Geld? Eine Menge. Ich hatte ja dreihundert Mark für die Reise, weißt du!
    Ist davon noch was übrig?
    Wo solls denn geblieben sein? Ich habe mindestens noch hundert Mark im
    Sack.
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    Dann bestell nur einen Liter.
    Die Blätter wurden abgeräumt und weggelegt, der Liter fuhr auf, und wir
    stießen an. Da stieg mir des Geldes wegen doch ein Argwohn auf. Der Städte-
    bauer hatte von einer Stipendienverwaltung ganz unerwartet dreihundert Mark
    zu einem Studienausflug bekommen. Aber nun hatte er ja nur eine Fußreise
    von zwölf Wochen gemacht, nichts studiert und außer der Certosa und Mailand
    nicht einmal etwas gesehen.
    Du, das gibt aber noch Stänkereien mit der Kommission , warnte ich.
    Du mußt doch Studien vorlegen.
    Das tu ich auch. Morgen gehts dran.
    Hast du denn unterwegs gezeichnet?
    Das nicht. Aber ich weiß doch, wie so ein Renaissancepalast ausschaut!
    Was anderes wollen die Herren nicht. Da mach ich nun eben in aller Ruhe da-
    heim eine kleine Mappe voll, ein paar malerische Ansichten, ein paar Portale, Gesimse,

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