Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
ich unterwegs so lustig schien; es
    geschah weiß Gott mehr aus Verzweiflung . . .
    Was soll nun das wieder sein?
    rief Mama bestürzt.
    Die alte dumme Geschichte , sagte ich traurig,
    die wir schon einmal hier
    besprochen haben. Ich habe leider damals mehr versprochen, als ich werde
    halten können!
    Mein, Junge! Und jetzt? Sprich, ich bitte dich!
    Nun ja, es handelte sich doch um Käthchen Stoll, und ich sollte um sie
    anhalten, aber erst, wenn ich ein selbständiger Mann wäre?
    Ja, ja.
    Mutter , fuhr ich düster fort,
    diesen Antrag . . .
    Sprich, Kind, um Gottes willen! Weiter!
    Diesen Antrag werde ich nie an sie richten – es sei denn, daß du absolut
    darauf bestündest . . .
    In diesem Augenblick gab mir meine gute Mutter eine Ohrfeige und gleich
    darauf einen Kuß. Vergnügter als auf der Rückfahrt sind wir beide in unserm
    Leben nicht gewesen.
    (1905)
    333
    Der Städtebauer
    Es war, glaube ich, früher doch schöner als heute – früher, damit meine ich
    jene Jahre des Wartens und Hungerns, da unser einziger Besitz ein Paket un-
    gedruckter Gedichte, abgewiesener Baupläne oder unleserlicher Artikel war.
    Jetzt sind wir Freunde von damals, soweit wir noch leben, alle
    etwas gewor-
    den , der eine Redakteur, der andere Professor, der dritte Zeichenlehrer und so weiter. Wir haben geheiratet, wir zahlen unsere Steuer und Miete und essen jeden lieben Tag satt und gut, wir genießen sogar das, was wir früher
    Aner-
    kennung
    nannten und was so anders, so viel saurer und fader schmeckt als
    wirs uns damals träumten. Ja, wir sind zum Teil geradezu berühmte Herren
    geworden.
    Damals! Damals waren wir noch Lumpen, aufgegebene und von inneren Mis-
    sionaren aufgesuchte Verlorene, Stammgäste billiger Volksküchen und kleiner, namenloser Weinkneipen, Hungerleider und Schuldenmacher. Da gab es noch
    den
    Klub der Entgleisten , der obdachlos und von Gläubigern verfolgt von
    einem Wirtshäuslein ins andere flüchtete, um überall nach rasch erschöpftem
    Kredit wieder zu verschwinden. Wir waren Lumpen und Zigeuner, aber wir
    waren keine
    bohémiens , wir lagen nicht mit langen Locken und verlogenen
    Gesichtern in den Kaffeehäusern herum und spielten nicht im Interesse kleiner Anpumpereien die verkannten Genies. Denn so wüst wir zuzeiten auch taten,
    es war uns doch das Elendsein noch nicht zur Pose geworden, und jeder von
    uns saß in guten Stunden an seiner heimlichen Arbeit und verlor im stillen nie ganz die Zuversicht, er werde sich doch noch herausbeißen und die Welt zur
    Anerkennung zwingen.
    Damals saß ich eines Abends in meiner kleinen, finsteren Stube und öffnete
    einen dicken Brief, in welchem mir eine Münchener Zeitschrift zwei Novellen
    und einige Gedichte mit freundlichstem Dank für die liebenswürdige Einsen-
    dung als leider nicht verwendbar zurückschickte. Es lag mir fern, dem Redak-
    teur darob zu grollen, denn ich war an dergleichen gewöhnt, auch lebte in
    unserem Kreise die Anschauung, ein Gedicht müsse schon schandbar schlecht
    sein, um von einer beliebten und honorarzahlenden Zeitschrift aufgenommen
    zu werden. Mit etwas bitterem Stolz legte ich meine Manuskripte in die Schublade zurück, zu den anderen. Ich hatte an jenem Tage außer einem Teller Kar-
    334
    toffeln keinerlei leibliche Genüsse gehabt, und je länger ich meinen Zustand bedachte, desto notwendiger schien es mir, heute abend noch einen rechtschaf-fenen Schoppen Wein zu trinken. Im
    Helm
    stand ich aus üppigeren Zeiten
    her noch in Ansehen, ich hatte dort nur unbedeutende Zechschulden und be-
    schloß, diese heute um ein kleines zu vermehren. So lief ich in den
    Helm
    und
    ahnte nicht, welcher Freude ich damit entgegen ging.
    In der engen, altmodischen Elsässer Weinstube fand ich beim Eintreten den
    von mir bevorzugten Tisch auf seltsame Weise besetzt. Es saß an der Breitseite ein junger, schmaler Mensch und hatte vor sich die ganze Tischfläche mit
    gewaltigen Papierstücken bedeckt, auf denen er eifrig zeichnete. Die Blätter bestanden aus braunem Packpapier, und kaum hatte ich sie gesehen, so wußte
    ich woran ich war und klopfte dem Zeichner fröhlich auf die Schulter.
    Städtebauer, was tust du hier?
    Der Städtebauer zog zuerst eine Linie zu Ende, eh er aufblickte. Dann
    glänzten mich seine guten, großen Kinderaugen freundlich an.
    Ich arbeite da etwas , sagte er schüchtern.
    Ja, das seh ich. Aber wo kommst du her? Ich dachte, du wärest jetzt
    ungefähr in Rom.
    Ach Rom! Nach Rom hat michs nie gezogen,

Weitere Kostenlose Bücher