Die Erzaehlungen 1900-1906
Ornamente und Fensterbögen, und das wird vorgelegt.
Ich war beruhigt und wir tranken unsern Liter in Frieden, der Städtebauer
ließ mir sogar eine Portion Schinken bringen, und als ich merken ließ, daß
ich noch durstig sei, bestellte er, obwohl er selber gar kein Zecher war, ohne Widerrede auch den zweiten Liter. Der solide Elsässer glänzte matt in den
fußlosen Gläsern, mein Freund war lebhaft geworden und kam ins Reden. Er
packte seine Papierstücke wieder aus, legte sie nebeneinander und zeigte mir den Plan seines Klosters. Seine Kinderaugen glänzten, seine hageren Finger
fuhren leidenschaftlich über den Grundriß und ließen in drastischen Gebärden den ganzen Bau vor mir aufwachsen. Zwei aneinander lehnende Kirchen, eine
große und eine kleinere, bildeten die Mitte und schlossen von zwei Seiten den nicht sehr großen Kreuzgang ein. Vorhallen, Refektorien, Lehrsäle, Wohnungen, Wirtschaftsgebäude und zwei Brunnen schlossen sich an, zwei gewaltige
Türme schützten und zierten den Eingang, und hinten schloß ein ummauerter
Park das Ganze ab.
Solange wir über den Plänen saßen, wollte es mir selber unbegreiflich schei-
nen, daß man heutzutage keine Klöster mehr baue. Mein Freund entwickelte
aber nicht nur seine Baupläne. Er sprach von dem Leben, das in einer solchen klosterartigen Kolonie möglich wäre, die er sich von Künstlern und Gelehrten mit ihren Schülern bevölkert dachte. Er träumte von universal gebildeten, rei-neren Menschen, von edleren Bündnissen und Freundschaften, von schönerer
und zarterer Geselligkeit, von lebendigerer Arbeit und bunteren, freudevolleren Festen als man sie heute kennt.
Ich vergesse nie, wie er dabei leuchtete und wie zart und ernst und eifrig
seine leise Stimme klang! Das waren die Stunden, in denen er wahrhaft lebte.
Wieviel phantastisch ungeheure Pläne hatte er gezeichnet, von Städten, von
Dörfern, von künstlichen Inseln und Lagunenbauten! Und alle waren nur aus
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dem Trieb entstanden, seinen Kulturidealen und Zukunftsträumen eine sicht-
bare Folie zu geben; sie waren nur Rahmen zu Traumbildern, nur beiläufige
Illustrationen zu seinem Lebensgedanken. Und noch nie war ihm eingefal-
len, dem Weltlauf nachzugeben, sein Ideal zu beschneiden, seine Pläne aufs
Mögliche und Nützliche zu reduzieren. Lieber litt er Not, lebte von Zeich-
nungen für Zeitschriften, von Aushilfstunden und gelegentlichen Beiträgen in Fachblättern, als daß er der Wirklichkeit nachgab und schlechthin Architekt
wurde, wie er hätte sein sollen. Was lag ihm daran,
einzelne Häuser
zu
bauen!
Wir blieben bis spät in die Nacht beisammen. Er erzählte von seiner Rei-
se, von Fußwanderungen durch Waldtäler und über Hochpässe, von Art und
Lebensweise der Leute in fremden Gegenden.
Dann trennten wir uns fröhlich, und als wir uns nach einiger Zeit wiedersa-
hen, war der Rest seines kleinen Reichtums dahin und er lebte wieder in der
alten Enge. Ich war zu ihm gekommen, um einen Kaffee zu erlangen, aber er
hatte auch keinen mehr und wußte selbst noch nicht, wo er heute würde essen
können. Etwas enttäuscht wollte ich weiter gehen, da hielt er mich am Arm
zurück und nahm mir den Hut ab.
Nein, Junge, so ganz leer sollst du doch nicht abziehen. Warte mal!
Und er holte ein Buch, zwang mich zu sitzen und las mir ein paar schöne
Seiten aus Wolfram von Eschenbachs Parzival vor.
Ich möchte wissen, wo alle seine Zeichnungen und Entwürfe hingekommen
sind. Er selber starb früh und unter traurigen Umständen, und ich erfuhr es
erst, als er schon unterm Boden war. Oft, wenn ich an jene schönen kecken
Jahre denke, sehe ich ihn und höre seine eifrige Stimme und habe das Gefühl, er sei uns allen ein guter Geist gewesen. Auch jetzt noch, wenn ich müde und in Gefahr bin nachzugeben und unsere Hoffnungen von damals Träume zu
schelten, brauche ich nur an ihn zu denken dann weiß ich wieder, daß wir doch recht hatten und daß es besser ist, sich treu zu bleiben und Zukunftsstädte zu träumen, als
einzelne Häuser zu bauen .
(1905)
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Ein Erfinder
Mein Freund Konstantin Silbernagel stand mit allen Mädchen der Nachbar-
schaft gut, aber er hatte keinen Schatz. Wo er eine stehen und gehen sah, war er mit einem Gruß, mit einem Witz oder mit einer Freundlichkeit und vertrau-lichen Neckerei zur Hand, und die Mädchen standen dann, sahen ihm nach und
hatten ihr Wohlgefallen an ihm; er hätte jede von ihnen haben können. Aber
er wollte nicht.
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