Die Erzaehlungen 1900-1906
liebte. Dann tat er überlegene Reden über
das Leben und erlaubte mir, seine Zeche zu zahlen. Und folgendes sagte er
mir eines Abends im Juli. Da ich Geburtstag hatte, war er mit mir zu einem
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kleinen Abendessen gegangen, wir hatten Wein getrunken und waren dann
durch die warme Nacht flußaufwärts durch die Allee spaziert. Da stand unter
der letzten Linde eine steinerne Bank, auf der streckte er sich aus, während ich im Grase lag. Und da erzählte er.
Sie sind ein junger Dachs, Sie, und wissen noch nichts vom Leben in der
Welt. Und ich bin ein altes Rindvieh, sonst würde ich Ihnen das nicht erzählen, was ich jetzt sage. Wenn Sie ein anständiger Kerl sind, behalten Sie es für sich und machen keinen Klatsch daraus. Aber wie Sie wollen.
Wenn Sie mich anschauen, sehen Sie einen kleinen Schreiber mit krummen
Fingern und geflickten Hosen. Und wenn Sie mich totschlagen wollten, hätte
ich nichts dagegen. An mir ist wenig mehr totzuschlagen. Und wenn ich Ihnen
sage, daß mein Leben ein Sturmwind und eine Flamme gewesen ist, so lachen
Sie nur, bitte! Aber Sie werden vielleicht auch nicht lachen, Sie junger Dachs, wenn Ihnen ein alter Mann in der Sommernacht ein Märchen erzählt.
Sie sind schon verliebt gewesen, nicht wahr? Einigemal, nicht wahr? Ja, ja.
Aber Sie wissen noch nicht, was Lieben ist. Sie wissen es nicht, sage ich. Vielleicht haben Sie einmal eine ganze Nacht geweint? Und einen ganzen Monat
schlecht geschlafen? Vielleicht haben Sie auch Gedichte gemacht und auch einmal ein bißchen mit Selbstmordgedanken gespielt? Ja, ich kenne das schon.
Aber das ist nicht Liebe, Sie. Liebe ist anders.
Noch vor zehn Jahren war ich ein respektabler Mann und gehörte zur be-
sten Gesellschaft. Ich war Verwaltungsbeamter und Reserveoffizier, war wohl-
habend und unabhängig, ich hielt ein Reitpferd und einen Diener, wohnte
bequem und lebte gut. Logensitze im Theater, Sommerreisen, eine kleine
Kunstsammlung, Reitsport und Segelsport, Junggesellenabende mit weißem
und rotem Bordeaux und Frühstücke mit Sekt und Sherry.
All das Zeug war ich jahrelang gewohnt, und doch entbehre ich es ziemlich
leicht. Was liegt schließlich am Essen und Trinken, Reiten und Fahren, nicht wahr? Ein bißchen Philosophie, und alles wird entbehrlich und lächerlich. Auch die Gesellschaft und der gute Ruf und daß die Leute den Hut vor einem ziehen, ist schließlich unwesentlich, wenn auch entschieden angenehm.
Wir wollten ja von der Liebe sprechen, he? Also was ist Liebe? Für eine
geliebte Frau zu sterben, dazu kommt man ja heutzutage selten. Das wäre
freilich das Schönste. – Unterbrechen Sie mich nicht, Sie! Ich rede nicht von der Liebe zu zweien, vom Küssen und Beisammenschlafen und Heiraten. Ich rede
von der Liebe, die zum einzigen Gefühl eines Lebens geworden ist. Die bleibt einsam, auch wenn sie, wie man sagt, >erwidert< wird. Sie besteht darin, daß alles Wollen und Vermögen eines Menschen mit Leidenschaft einem einzigen
Ziel entgegenstrebt und daß jedes Opfer zur Wollust wird. Diese Art Liebe will nicht glücklich sein, sie will brennen und leiden und zerstören, sie ist Flamme und kann nicht sterben, ehe sie das letzte irgend Erreichbare verzehrt hat.
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Über die Frau, die ich liebte, brauchen Sie nichts zu wissen. Vielleicht war sie wunderbar schön, vielleicht nur hübsch. Vielleicht ein Genie, vielleicht keines.
Was liegt daran, lieber Gott! Sie war der Abgrund, in dem ich untergehen
sollte, sie war die Hand Gottes, die eines Tages in mein unbedeutendes Leben griff. Und von da an war dies unbedeutende Leben groß und fürstlich, begreifen Sie, es war auf einmal nicht mehr das Leben eines Mannes von Stande, sondern eines Gottes und eines Kindes, rasend und unbesonnen, es brannte und loderte.
Von da an wurde alles lumpig und langweilig, was mir vorher wichtig ge-
wesen war. Ich versäumte Dinge, die ich nie versäumt hatte, ich erfand Listen und unternahm Reisen, nur um jene Frau einen Augenblick lächeln zu sehen.
Für sie war ich alles, was sie gerade erfreuen konnte, für sie war ich froh und ernst, gesprächig und still, korrekt und verrückt, reich und arm. Als sie bemerkte, wie es mit mir stand, hat sie mich auf unzählige Proben gestellt. Mir war es eine Lust, ihr zu dienen, sie konnte unmöglich etwas erfinden, einen
Wunsch ausdenken, den ich nicht wie eine Kleinigkeit erfüllte. Dann sah sie
ein, daß ich sie mehr liebte als irgendein anderer Mann, und es kamen stille Zeiten, in
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