Die Erzaehlungen 1900-1906
abwartend, was weiter käme. Also machte ich einen Besuch zu
einer Zeit, wo sie allein sein mußte, und wurde angenommen.
Als ich ihr gegenübersaß, merkte ich schnell, daß hier keine Methode am
Platz sei. Darum spielte ich va banque und sagte ihr einfach, ich sei verliebt und stehe zu ihrer Verfügung. Daran knüpfte sich ungefähr folgender Dialog:
>Reden wir von Interessanterem.<
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>Es gibt nichts, was mich interessieren könnte, als Sie, gnädige Frau. Ich bin gekommen, um Ihnen das zu sagen. Wenn es Sie langweilt, gehe ich.
>Nun denn, was wollen Sie von mir?<
>Liebe, gnädige Frau!<
>Liebe! Ich kenne Sie kaum und liebe Sie nicht.<
>Sie werden sehen, daß ich nicht scherze. Ich biete Ihnen alles an, was ich bin und tun kann, und ich werde vieles tun können, wenn es für Sie geschieht.<
>Ja, das sagen alle. Es ist nie etwas Neues in euren Liebeserklärungen. Was wollen Sie denn tun, das mich hinreißen soll? Würden Sie wirklich lieben, so hätten Sie längst etwas getan.<
>Was zum Beispiel?<
>Das müßten Sie selber wissen. Sie hätten acht Tage fasten können oder
sich erschießen, oder wenigstens Gedichte machen.<
>Ich bin nicht Dichter.<
>Warum nicht? Wer so liebt, wie man einzig lieben sollte, der wird zum
Dichter und zum Helden um ein Lächeln, um einen Wink, um ein Wort von
der, die er lieb hat. Wenn seine Gedichte nicht gut sind, sind sie doch heiß und voll Liebe –<
>Sie haben recht, gnädige Frau. Ich bin kein Dichter und kein Held, und
ich erschieße mich auch nicht. Oder wenn ich das täte, so geschähe es aus
Schmerz darüber, daß meine Liebe nicht so stark und brennend ist, wie Sie sie verlangen dürfen. Aber statt alles dessen habe ich eines, einen einzigen kleinen Vorzug vor jenem idealen Liebhaber: ich verstehe Sie.<
>Was verstehen Sie?<
>Daß Sie Sehnsucht haben wie ich. Sie verlangen nicht nach einem Geliebten, sondern Sie möchten lieben, ganz und sinnlos lieben. Und Sie können das
nicht.<
>Glauben Sie?<
>Ich glaube es. Sie suchen die Liebe, wie ich sie suche. Ist es nicht so?<
>Vielleicht.<
>Darum können Sie mich auch nicht brauchen, und ich werde Sie nicht mehr
belästigen. Aber vielleicht sagen Sie mir noch, ehe ich gehe, ob Sie einmal, irgend einmal, der wirklichen Liebe begegnet sind.<
>Einmal, vielleicht. Da wir so weit sind, können Sie es ja wissen. Es ist drei Jahre her. Da hatte ich zum erstenmal das Gefühl, wahrhaftig geliebt zu werden.
>Darf ich weiter fragen?<
>Meinetwegen. Da kam ein Mann und lernte mich kennen und hatte mich
lieb. Und weil ich verheiratet war, sagte er es mir nicht. Und als er sah, daß ich meinen Mann nicht liebte und einen Günstling hatte, kam er und schlug
mir vor, ich solle meine Ehe auflösen. Das ging nicht, und von da an trug
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dieser Mann Sorge um mich, bewachte uns, warnte mich und wurde mein
guter Beistand und Freund. Und als ich seinetwegen den Günstling entließ
und bereit war, ihn anzunehmen, verschmähte er mich und ging und kam
nicht wieder. Der hat mich geliebt, sonst keiner.<
>Ich verstehe.<
>Also gehen Sie nun, nicht? Wir haben einander vielleicht schon zu viel
gesagt.<
>Leben Sie wohl. Es ist besser, ich komme nicht wieder.<
Mein Freund schwieg, rief nach einer Weile den Kellner, zahlte und ging.
Und aus dieser Erzählung unter anderm schloß ich, ihm fehle die Fähigkeit zur richtigen Liebe. Er hatte es ja selber ausgesprochen. Und doch muß man den
Menschen dann am wenigsten glauben, wenn sie von ihren Mängeln reden.
Mancher hält sich für vollkommen, nur weil er geringe Ansprüche an sich
stellt. Das tat mein Freund nicht, und es mag sein, daß gerade sein Ideal einer wahren Liebe ihn so hat werden lassen, wie er ist.
Vielleicht hat der kluge Mann mich auch zum besten gehabt, und möglich-
erweise war jenes Gespräch mit Frau Förster einfach seine Erfindung. Denn er ist ein heimlicher Dichter, so sehr er sich auch dagegen verwahrt.
Lauter Vermutungen, vielleicht Täuschungen.
(1906)
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Brief eines Jünglings
Verehrte gnädige Frau!
Sie haben mich eingeladen, Ihnen einmal zu schreiben. Sie dachten, für einen jungen Mann mit literarischer Begabung müßte es köstlich sein, Briefe an eine schöne und gefeierte Dame schreiben zu dürfen. Sie haben recht, es ist köstlich.
Und außerdem haben Sie auch bemerkt, daß ich weit besser schreiben als
sprechen kann. Also schreibe ich. Es ist für mich die einzige Möglichkeit, Ihnen ein kleines Vergnügen zu machen, und das
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