Die Erzaehlungen 1900-1906
denen sie mich verstand und meine Liebe annahm. Wir sahen uns
tausendmal, wir reisten zusammen, wir taten Unmögliches, um beisammen zu
sein und die Welt zu täuschen.
Jetzt wäre ich glücklich gewesen. Sie hatte mich lieb. Und eine Zeitlang war ich auch glücklich, vielleicht.
Aber meine Bestimmung war nicht, diese Frau zu erobern. Als ich eine Weile
jenes Glück genoß und keine Opfer mehr zu bringen brauchte, als ich ohne
Mühe ein Lächeln und einen Kuß und eine Liebesnacht von ihr bekam, begann
ich unruhig zu werden. Ich wußte nicht, was mir fehlte, ich hatte mehr erreicht, als meine kühnsten Wünsche jemals begehrt hatten. Aber ich war unruhig.
Wie gesagt, meine Bestimmung war nicht, diese Frau zu erobern. Daß mir das
geschah, war ein Zufall. Meine Bestimmung war, an meiner Liebe zu leiden,
und als der Besitz der Geliebten anfing, dies Leiden zu heilen und zu kühlen, kam die Unruhe über mich. Eine gewisse Zeit hielt ich es aus, dann trieb
es mich plötzlich weiter. Ich verließ die Frau. Ich nahm Urlaub und machte
eine große Reise. Mein Vermögen war damals schon stark angegriffen, aber
was lag daran? Ich reiste und kam nach einem Jahr zurück. Eine sonderbare
Reise! Kaum war ich fort, so fing das frühere Feuer wieder an zu brennen.
Je weiter ich fuhr und je länger ich fort war, desto peinigender kehrte meine Leidenschaft zurück, und ich sah zu und freute mich und reiste weiter, ein Jahr lang immerzu, bis die Flamme unerträglich geworden war und mich wieder in
die Nähe meiner Geliebten nötigte.
Da stand ich dann, war wieder daheim und fand sie zornig und bitter ge-
kränkt. Nicht wahr, sie hatte sich mir hingegeben und mich beglückt, und ich hatte sie verlassen! Sie hatte wieder einen Liebhaber, aber ich sah, daß sie ihn 354
nicht liebte. Sie hatte ihn angenommen, um sich an mir zu rächen.
Ich konnte ihr nicht sagen oder schreiben, was es war, das mich von ihr
weg und nun wieder zu ihr zurückgetrieben hatte. Wußte ich es selber? Also
fing ich wieder an, um sie zu werben und zu kämpfen. Ich tat wieder weite
Wege, versäumte Wichtiges und gab große Summen, um ein Wort von ihr
zu hören oder um sie lächeln zu sehen. Sie entließ den Liebhaber, nahm aber
bald einen andern, da sie mir nicht mehr traute. Dennoch sah sie mich zuzeiten gern. Manchmal in einer Tischgesellschaft oder im Theater sah sie über ihre
Umgebung weg plötzlich zu mir herüber, sonderbar mild und fragend.
Sie hatte mich immer für sehr, sehr reich gehalten. Ich hatte diesen Glauben in ihr geweckt und hielt ihn am Leben, nur um immer wieder etwas für sie
tun zu dürfen, was sie einem Armen nicht erlaubt hätte. Früher hatte ich ihr Geschenke gemacht, das war nun vorüber, und ich mußte neue Wege finden,
ihr Freude machen und Opfer bringen zu können. Ich veranstaltete Konzerte,
in denen von Musikern, die sie schätzte, ihre Lieblingsstücke gespielt und
gesungen wurden. Ich kaufte Logen auf, um ihr ein Premierenbillett anbieten
zu können. Sie gewöhnte sich wieder daran, mich für tausend Dinge sorgen zu
lassen.
Ich war in einem unaufhörlichen Wirbel von Geschäften für sie. Mein Vermö-
gen war erschöpft, nun fingen die Schulden und Finanzkünste an. Ich verkaufte meine Gemälde, mein altes Porzellan, mein Reitpferd, und kaufte dafür ein
Automobil, das zu ihrer Verfügung stehen sollte.
Dann war es so weit, daß ich das Ende vor mir sah. Während ich Hoffnung
hatte, sie wiederzugewinnen, sah ich meine letzten Quellen erschöpft. Aber
ich wollte nicht aufhören. Ich hatte noch mein Amt, meinen Einfluß, meine
angesehene Stellung. Wozu, wenn es ihr nicht diente? So kam es, daß ich log
und unterschlug, daß ich aufhörte, den Gerichtsvollzieher zu fürchten, weil ich Schlimmeres fürchten mußte. Aber es war nicht umsonst. Sie hatte auch den
zweiten Liebhaber weggeschickt, und ich wußte, daß sie jetzt keinen mehr oder mich nehmen würde.
Sie nahm mich auch, ja. Das heißt, sie ging in die Schweiz und erlaubte
mir, ihr zu folgen. Am folgenden Morgen reichte ich ein Gesuch um Urlaub
ein. Statt der Antwort erfolgte meine Verhaftung. Urkundenfälschung, Unter-
schlagung öffentlicher Gelder. Sagen Sie nichts, es ist nicht nötig. Ich weiß schon. Aber wissen Sie, daß auch das noch Flamme und Leidenschaft und
Liebeslohn war, geschändet und gestraft zu werden und den letzten Rock vom
Leibe zu verlieren? Verstehen Sie das, Sie junger Verliebter?
Ich habe Ihnen ein Märchen
Weitere Kostenlose Bücher