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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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denen sie mich verstand und meine Liebe annahm. Wir sahen uns
    tausendmal, wir reisten zusammen, wir taten Unmögliches, um beisammen zu
    sein und die Welt zu täuschen.
    Jetzt wäre ich glücklich gewesen. Sie hatte mich lieb. Und eine Zeitlang war ich auch glücklich, vielleicht.
    Aber meine Bestimmung war nicht, diese Frau zu erobern. Als ich eine Weile
    jenes Glück genoß und keine Opfer mehr zu bringen brauchte, als ich ohne
    Mühe ein Lächeln und einen Kuß und eine Liebesnacht von ihr bekam, begann
    ich unruhig zu werden. Ich wußte nicht, was mir fehlte, ich hatte mehr erreicht, als meine kühnsten Wünsche jemals begehrt hatten. Aber ich war unruhig.
    Wie gesagt, meine Bestimmung war nicht, diese Frau zu erobern. Daß mir das
    geschah, war ein Zufall. Meine Bestimmung war, an meiner Liebe zu leiden,
    und als der Besitz der Geliebten anfing, dies Leiden zu heilen und zu kühlen, kam die Unruhe über mich. Eine gewisse Zeit hielt ich es aus, dann trieb
    es mich plötzlich weiter. Ich verließ die Frau. Ich nahm Urlaub und machte
    eine große Reise. Mein Vermögen war damals schon stark angegriffen, aber
    was lag daran? Ich reiste und kam nach einem Jahr zurück. Eine sonderbare
    Reise! Kaum war ich fort, so fing das frühere Feuer wieder an zu brennen.
    Je weiter ich fuhr und je länger ich fort war, desto peinigender kehrte meine Leidenschaft zurück, und ich sah zu und freute mich und reiste weiter, ein Jahr lang immerzu, bis die Flamme unerträglich geworden war und mich wieder in
    die Nähe meiner Geliebten nötigte.
    Da stand ich dann, war wieder daheim und fand sie zornig und bitter ge-
    kränkt. Nicht wahr, sie hatte sich mir hingegeben und mich beglückt, und ich hatte sie verlassen! Sie hatte wieder einen Liebhaber, aber ich sah, daß sie ihn 354
    nicht liebte. Sie hatte ihn angenommen, um sich an mir zu rächen.
    Ich konnte ihr nicht sagen oder schreiben, was es war, das mich von ihr
    weg und nun wieder zu ihr zurückgetrieben hatte. Wußte ich es selber? Also
    fing ich wieder an, um sie zu werben und zu kämpfen. Ich tat wieder weite
    Wege, versäumte Wichtiges und gab große Summen, um ein Wort von ihr
    zu hören oder um sie lächeln zu sehen. Sie entließ den Liebhaber, nahm aber
    bald einen andern, da sie mir nicht mehr traute. Dennoch sah sie mich zuzeiten gern. Manchmal in einer Tischgesellschaft oder im Theater sah sie über ihre
    Umgebung weg plötzlich zu mir herüber, sonderbar mild und fragend.
    Sie hatte mich immer für sehr, sehr reich gehalten. Ich hatte diesen Glauben in ihr geweckt und hielt ihn am Leben, nur um immer wieder etwas für sie
    tun zu dürfen, was sie einem Armen nicht erlaubt hätte. Früher hatte ich ihr Geschenke gemacht, das war nun vorüber, und ich mußte neue Wege finden,
    ihr Freude machen und Opfer bringen zu können. Ich veranstaltete Konzerte,
    in denen von Musikern, die sie schätzte, ihre Lieblingsstücke gespielt und
    gesungen wurden. Ich kaufte Logen auf, um ihr ein Premierenbillett anbieten
    zu können. Sie gewöhnte sich wieder daran, mich für tausend Dinge sorgen zu
    lassen.
    Ich war in einem unaufhörlichen Wirbel von Geschäften für sie. Mein Vermö-
    gen war erschöpft, nun fingen die Schulden und Finanzkünste an. Ich verkaufte meine Gemälde, mein altes Porzellan, mein Reitpferd, und kaufte dafür ein
    Automobil, das zu ihrer Verfügung stehen sollte.
    Dann war es so weit, daß ich das Ende vor mir sah. Während ich Hoffnung
    hatte, sie wiederzugewinnen, sah ich meine letzten Quellen erschöpft. Aber
    ich wollte nicht aufhören. Ich hatte noch mein Amt, meinen Einfluß, meine
    angesehene Stellung. Wozu, wenn es ihr nicht diente? So kam es, daß ich log
    und unterschlug, daß ich aufhörte, den Gerichtsvollzieher zu fürchten, weil ich Schlimmeres fürchten mußte. Aber es war nicht umsonst. Sie hatte auch den
    zweiten Liebhaber weggeschickt, und ich wußte, daß sie jetzt keinen mehr oder mich nehmen würde.
    Sie nahm mich auch, ja. Das heißt, sie ging in die Schweiz und erlaubte
    mir, ihr zu folgen. Am folgenden Morgen reichte ich ein Gesuch um Urlaub
    ein. Statt der Antwort erfolgte meine Verhaftung. Urkundenfälschung, Unter-
    schlagung öffentlicher Gelder. Sagen Sie nichts, es ist nicht nötig. Ich weiß schon. Aber wissen Sie, daß auch das noch Flamme und Leidenschaft und
    Liebeslohn war, geschändet und gestraft zu werden und den letzten Rock vom
    Leibe zu verlieren? Verstehen Sie das, Sie junger Verliebter?
    Ich habe Ihnen ein Märchen

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