Die Erzaehlungen 1900-1906
mädchenhaft schimmernd.
Der Volontär kam mit den Spielen zurück, wir setzten uns und würfelten
alle drei um Pralinés. Sie sprach wieder lebhaft und scherzte bei jedem Wurf, aber ich brachte kein Wort heraus und hatte Mühe mit dem Atmen. Manchmal
kam unter dem Tisch ihre Hand und spielte mit meiner oder lag auf meinem
Knie.
Gegen zehn Uhr erklärte der Volontär, es sei Zeit für uns zu gehen.
Wollen Sie auch schon fort?
fragte sie mich und sah mich an.
Ich hatte keine Erfahrung in Liebessachen und stotterte, ja es sei wohl Zeit, und stand auf.
Na, denn , rief sie, und der Volontär brach auf. Ich folgte ihm zur Tür,
aber eben als er über die Schwelle war, riß sie mich am Arm zurück und zog
mich noch einmal an sich. Und im Hinausgehen flüsterte sie mir zu:
Sei
gescheit, du, sei gescheit!
Auch das verstand ich nicht.
Wir nahmen Abschied und rannten auf die Station. Wir nahmen Billette,
und der Volontär stieg ein. Aber ich konnte jetzt keine Gesellschaft brauchen.
Ich stieg nur auf die erste Stufe, und als der Zugführer pfiff, sprang ich wieder ab und blieb zurück. Es war schon finstere Nacht.
Betäubt und traurig lief ich die lange Landstraße heim, an ihrem Garten
und an dem Gitter vorbei wie ein Dieb. Eine vornehme Dame hatte mich lieb!
Zauberländer taten sich vor mir auf, und als ich zufällig in meiner Tasche den Nickelzwicker fand, warf ich ihn in den Straßengraben.
Am nächsten Sonntag war der Volontär wieder eingeladen zum Mittagessen,
aber ich nicht. Und sie kam auch nicht mehr in die Werkstatt.
Ein Vierteljahr lang ging ich noch oft nach Settlingen hinüber, sonntags oder spät abends, und horchte am Gitter und ging um den Garten herum, hörte
die Bernhardiner bellen und den Wind durch die ausländischen Bäume gehen,
sah Licht in den Zimmern und dachte: Vielleicht sieht sie mich einmal; sie hat mich ja lieb. Einmal hörte ich im Haus Klaviermusik, weich und wiegend, und
lag an der Mauer und weinte.
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Aber nie mehr hat der Diener mich hinaufgeführt und vor den Hunden
beschützt, und nie mehr hat ihre Hand die meine und ihr Mund den meinen
berührt. Nur im Traum geschah mir das noch einigemal, im Traum. Und im
Spätherbst gab ich die Schlosserei auf und legte die blaue Bluse für immer ab und fuhr weit fort in eine andere Stadt.
(1905)
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Liebesopfer
Drei Jahre arbeitete ich als Gehilfe in einer Buchhandlung. Anfangs bekam
ich achtzig Mark im Monat, dann neunzig, dann fünfundneunzig, und ich war
froh und stolz, daß ich mein Brot verdiente und von niemand einen Pfennig
anzunehmen brauchte. Mein Ehrgeiz war, im Antiquariat vorwärtszukommen.
Da konnte man wie ein Bibliothekar in alten Büchern leben, Wiegendrucke
und Holzschnitte datieren, und es gab in guten Antiquariaten Stellen, die mit zweihundertfünfzig Mark und mehr bezahlt wurden. Allerdings, bis dahin war
der Weg noch weit, und es galt zu arbeiten, zu arbeiten – –
Sonderbare Käuze gab es unter meinen Kollegen. Oft kam es mir vor, als
sei der Buchhandel ein Asyl für Entgleiste jeder Art. Ungläubig gewordene
Pfarrer, verkommene ewige Studenten, stellenlose Doktoren der Philosophie,
unbrauchbar gewordene Redakteure und Offiziere mit schlichtem Abschied
standen neben mir am Kontorpult. Manche hatten Weib und Kinder und liefen
in trostlos abgetragenen Kleidern herum, andere lebten fast behaglich, die
meisten aber haben es im ersten Drittel des Monats geschwollen, um die übrige Zeit sich mit Bier und Käse und prahlerischen Reden zu begnügen. Alle aber
hatten aus glänzenderen Zeiten her Reste von feinen Manieren und gebildeter
Redeweise bewahrt und waren überzeugt, sie seien nur durch unerhörtes Pech
auf ihre bescheidenen Plätze heruntergekommen.
Sonderbare Leute, wie gesagt. Aber einen Mann wie den Columban Huß
hatte ich doch noch nie gesehen. Er kam eines Tages bettelnd ins Kontor und
fand zufällig eine geringe Schreiberstelle offen, die er dankbar annahm und
über ein Jahr lang behielt. Eigentlich tat und sagte er nie etwas Auffallendes und lebte äußerlich nicht anders als andere arme Büroangestellte. Aber man
sah ihm an, daß er nicht immer so gelebt hatte. Er konnte wenig über fünfzig sein und war schön gewachsen wie ein Soldat. Seine Bewegungen waren nobel
und großzügig, und sein Blick war so, wie ich damals glaubte, daß Dichter ihn haben müssen.
Es kam vor, daß Huß mit mir ins Wirtshaus ging, weil er witterte, daß
ich ihn heimlich bewunderte und
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