Die Erzaehlungen 1900-1906
erzählt, junger Mann. Der Mensch, der es erlebt
hat, bin nicht ich. Ich bin ein armer Buchhalter, der sich von Ihnen zu einer Flasche Wein einladen läßt. Aber jetzt will ich heimgehen. Nein, bleiben Sie noch, ich gehe allein. Bleiben Sie!
(1906)
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Liebe
Herr Thomas Höpfner, mein Freund, ist ohne Zweifel unter allen meinen Be-
kannten der, der am meisten Erfahrung in der Liebe hat. Wenigstens hat er
es mit vielen Frauen gehabt, kennt die Künste des Werbens aus langer Übung
und kann sich sehr vieler Eroberungen rühmen. Wenn er mir davon erzählt,
komme ich mir wie ein Schulbub vor. Allerdings meine ich zuweilen ganz im
stillen, vom eigentlichen Wesen der Liebe verstehe er auch nicht mehr als un-sereiner. Ich glaube nicht, daß er oft in seinem Leben um eine Geliebte Nächte durchwacht und durchweint hat. Er hat es jedenfalls selten nötig gehabt, und ich will es ihm gönnen, denn ein fröhlicher Mensch ist er trotz seiner Erfolge nicht. Vielmehr sehe ich ihn nicht selten von einer leichten Melancholie befangen, und sein ganzes Auftreten hat etwas resigniert Ruhiges, Gedämpftes,
was nicht wie Sättigung aussieht.
Nun, das sind Vermutungen und vielleicht Täuschungen. Mit Psychologie
kann man Bücher schreiben, aber nicht Menschen ergründen, und ich bin
auch nicht einmal Psycholog. Immerhin scheint es mir zuzeiten, mein Freund
Thomas sei nur darum ein Virtuos im Liebesspiel, weil ihm zu der Liebe, die
kein Spiel mehr ist, etwas fehle, und er sei deshalb ein Melancholiker, weil er jenen Mangel an sich selber kenne und bedauere. – Lauter Vermutungen,
vielleicht Täuschungen.
Was er mir neulich über Frau Förster erzählte, war mir merkwürdig, obwohl
es sich nicht um ein eigentliches Erlebnis oder gar Abenteuer, sondern nur um eine Stimmung handelte, eine lyrische Anekdote.
Ich traf mit Höpfner zusammen, als er eben den
Blauen Stern
verlassen
wollte, und überredete ihn zu einer Flasche Wein. Um ihn zum Spendieren
eines besseren Getränkes zu nötigen, bestellte ich eine Flasche gewöhnlichen Mosel, den ich selber sonst nicht trinke. Unwillig rief er den Kellner zurück.
Keinen Mosel, warten Sie!
Und er ließ eine feine Marke kommen. Mir war es recht, und bei dem guten
Wein waren wir bald im Gespräch. Vorsichtig brachte ich die Unterhaltung auf die Frau Förster, eine schöne Frau von wenig über dreißig Jahren, die noch
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nicht sehr lange in der Stadt wohnte und im Ruf stand, viele Liebschaften
gehabt zu haben.
Der Mann war eine Null. Seit kurzem wußte ich, daß mein Freund bei ihr
verkehrte.
Also die Förster , sagte er endlich nachgebend,
wenn sie dich denn so
heftig interessiert. Was soll ich sagen? Ich habe nichts mit ihr erlebt.
Gar nichts?
Na, wie man will. Nichts, was ich eigentlich erzählen kann. Man müßte ein
Dichter sein.
Ich lachte.
Du hältst sonst nicht viel von den Dichtern.
Warum auch? Dichter sind meistens Leute, die nichts erleben. Ich kann
dir sagen, mir sind im Leben schon tausend Sachen passiert, die man hätte
aufschreiben sollen. Immer dachte ich, warum erlebt nicht auch einmal ein
Dichter so was, damit es nicht untergeht. Ihr macht immer einen Mordslärm
um Selbstverständlichkeiten, jeder Dreck reicht für eine ganze Novelle – –
Und das mit der Frau Förster? Auch eine Novelle?
Nein. Eine Skizze, ein Gedicht. Eine Stimmung, weißt du.
Also, ich höre.
Nun, die Frau war mir interessant. Was man von ihr sagt, weißt du. Soweit
ich aus der Ferne beobachten konnte, mußte sie viel Vergangenheit haben. Es
schien mir, sie habe alle Arten von Männern geliebt und kennengelernt und
keinen lang ertragen. Dabei ist sie schön.
Was nennst du schön?
Sehr einfach, sie hat nichts Überflüssiges, nichts zuviel. Ihr Körper ist aus-gebildet, beherrscht, ihrem Willen dienstbar. Nichts an ihm ist undiszipliniert, nichts versagt, nichts ist träge. Ich kann mir keine Situation denken, der sie nicht noch das äußerst Mögliche von Schönheit abgewinnen würde. Eben das
zog mich an, denn für mich ist das Naive meist langweilig. Ich suche bewußte Schönheit, erzogene Formen, Kultur. Na, keine Theorien!
Lieber nicht.
Ich ließ mich also einführen und ging ein paarmal hin. Einen Liebhaber
hatte sie zur Zeit nicht, das war leicht zu bemerken. Der Mann ist eine Por-
zellanfigur. Ich fing an, mich zu nähern. Ein paar Blicke über Tisch, ein leises Wort beim Anstoßen mit dem Weinglas, ein zu lang dauernder Handkuß. Sie
nahm es hin,
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