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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und gewöhnte sich schon in der ersten Zeit einige bei den Gerbersauer Geschäftsleuten übliche Redensarten und Gesten an, zu
    denen die Mutter freundlich lächelte. Allein dieser fröhliche Anfang dauerte nicht sehr lange.
    Schon nach kurzer Zeit wurde der Lehrling, der anfangs nur geringe Hand-
    langerdienste tun oder zusehen durfte, zum Bedienen und Verkaufen am La-
    dentisch herangezogen, was ihn zunächst sehr froh und stolz machte, bald
    aber in einen schweren Konflikt führte. Kaum hatte er nämlich ein paarmal
    selbständig einige Kunden bedient, so deutete sein Lehrherr ihm an, er möge
    vorsichtiger mit der Waage umgehen. Walter war sich keines Versäumnisses
    bewußt und bat um eine genauere Anweisung.
    Ja, weißt du denn das nicht schon von deinem Vater her?
    fragte der
    Kaufmann.
    Was denn? Nein, ich weiß nichts , sagte Walter verwundert.
    Nun zeigte ihm der Prinzipal, wie man beim Zuwägen von Salz, Kaffee,
    Zucker und dergleichen durch ein nachdrückliches letztes Zuschütten die Waa-
    ge scheinbar zugunsten des Käufers niederdrücken müsse, indessen tatsächlich noch etwas am Gewicht fehle. Das sei schon deshalb notwendig, da man zum
    Beispiel am Zucker ohnehin fast nichts verdiene. Auch merke es ja niemand.
    Walter war ganz bestürzt.
    Aber das ist ja unrecht , sagte er schüchtern.
    Der Kaufmann belehrte ihn eindringlich, aber er hörte kaum zu, so überwäl-
    tigend war ihm die Sache gekommen. Und plötzlich fiel ihm die vorige Frage
    des Prinzipals wieder ein. Mit rotem Kopf unterbrach er zornig dessen Rede
    und rief:
    Und mein Vater hat das nie getan, ganz gewiß nicht.
    Der Herr war unangenehm erstaunt, unterdrückte aber klüglich eine hef-
    tige Zurechtweisung und sagte mit Achselzucken:
    Das weiß ich besser, du
    Naseweis. Es gibt keinen vernünftigen Laden, wo man das nicht tut.
    Der Junge war aber schon an der Tür und hörte nicht mehr auf den Mann,
    sondern ging in hellem Zorn und Schmerz nach Hause, wo er durch sein Er-
    lebnis und seine Klagen die Mutter in nicht geringe Bestürzung brachte. Sie
    wußte, mit welcher gewissenhaften Ehrerbietung er seinen Lehrherrn betrach-
    tet hatte und wie sehr es seiner Art widerstrebte, Auffallendes zu tun und
    Szenen zu machen. Aber sie verstand Walter diesmal sehr gut und freute sich
    trotz aller augenblicklichen Sorge, daß sein empfindliches Gewissen stärker als Gewohnheit und Rücksicht gewesen war. Sie suchte nun zunächst selbst den
    Kaufmann auf und sprach beruhigend mit ihm; dann mußte der Vormund zu
    Rate gezogen werden, dem nun wieder Walters Auflehnung unbegreiflich war
    und der durchaus nicht verstand, daß ihm die Mutter auch noch recht gebe.
    Auch er ging zum Prinzipal und sprach mit ihm. Dann schlug er der Mutter
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    vor, den Jungen ein paar Tage in Ruhe zu lassen, was auch geschah. Doch war
    dieser auch nach drei und nach vier und nach acht Tagen nicht zu bewegen,
    wieder in jenen Laden zu gehen. Und wenn wirklich jeder Kaufmann es nötig
    habe, zu betrügen, sagte er, so wolle er auch keiner werden.
    Nun hatte der Vormund in einem weiter talaufwärts gelegenen Städtchen
    einen Bekannten, der ein kleines Ladengeschäft betrieb und für einen Frömmler und Stundenbruder galt, als welchen auch er ihn gering geschätzt hatte. Diesem schrieb er in seiner Ratlosigkeit, und der Mann antwortete in Bälde, er
    halte zwar sonst keinen Lehrling, sei aber bereit, Walter versuchsweise bei sich aufzunehmen. So wurde Walter nach Deltingen gebracht und jenem Kaufmann
    übergeben.
    Der hieß Leckle und wurde in der Stadt
    der Schlotzer
    geheißen, weil er in
    nachdenklichen Augenblicken seine Gedanken und Entschlüsse aus dem linken
    Daumen zu saugen pflegte. Er war zwar wirklich sehr fromm und Mitglied
    einer kleinen Sekte, aber darum kein schlechter Kaufmann. Er machte sogar in seinem Lädchen vorzügliche Geschäfte und stand trotz seinem stets schäbigen
    Äußeren im Ruf eines wohlhabenden Mannes. Er nahm Walter ganz zu sich ins
    Haus, und dieser fuhr dabei nicht übel; denn war der Schlotzer etwas knapp
    und krittlig, so war Frau Leckle eine sanfte Seele voll unnötigen Mitleids und suchte, soweit es in der Stille geschehen konnte, den Lehrling durch Trostworte und Tätscheln und gute Bissen nach Kräften zu verwöhnen.
    Im Leckleschen Laden ging es zwar genau und sparsam zu, aber nicht auf
    Kosten der Kunden, denen Zucker und Kaffee gut und vollwichtig zugewogen
    wurden. Walter Kömpff begann daran zu glauben, daß man auch als

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