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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Kauf-
    mann ehrlich sein und bleiben könne, und da es ihm an Geschick zu seinem
    Beruf nicht fehlte, war er selten einem Verweis seines strengen Lehrherrn ausgesetzt. Doch war die Kaufmannschaft nicht das einzige, was er in Deltingen
    zu lernen bekam. Der Schlotzer nahm ihn fleißig in die
    Stunden
    mit, die
    manchmal sogar in seinem Hause stattfanden. Da saßen Bauern, Schneider,
    Bäcker, Schuster beisammen, bald mit, bald ohne Weiber, und suchten den
    Hunger ihres Geistes und ihrer Gemüter an Gebet, Laienpredigt und gemein-
    schaftlicher Bibelauslegung zu stillen. Zu diesem Treiben steckt im dortigen Volk ein starker Zug, und es sind meistens die besseren und höher angelegten Naturen, die sich ihm anschließen.
    Im ganzen war Walter, ob ihm auch das Bibelerklären manchmal zu viel
    wurde, diesem Wesen von Natur nicht abgeneigt und brachte es öfters zu wirk-
    licher Andacht. Aber er war nicht nur sehr jung, sondern auch ein Gerbersauer Kömpff; als ihm daher nach und nach auch einiges Lächerliche an der Sache
    aufstieß und als er immer öfter Gelegenheit hatte, andre junge Leute sich über sie lustig machen zu hören, da wurde er mißtrauisch und hielt sich möglichst zurück. Wenn es auffällig und gar lächerlich war, zu den Stundenbrüdern zu
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    gehören, so war das nichts für ihn, dem trotz allen widerstrebenden Regungen das Verharren im bürgerlich Hergebrachten ein tiefes Bedürfnis war. Immerhin blieb von dem Stundenwesen und vom Geist des Leckleschen Hauses genug an
    ihm hängen.
    Er hatte sich schließlich sogar so eingewöhnt, daß er nach Abschluß seiner
    Lehrzeit sich scheute, fortzugehen, und trotz allen Mahnungen des Vormun-
    des noch zwei volle Jahre bei dem Schlotzer blieb. Endlich nach zwei Jahren
    gelang es dem Vormund, ihn zu überzeugen, daß er notwendig noch ein Stück
    Welt und Handelschaft kennenlernen müsse, um später einmal sein eigenes
    Geschäft führen zu können. So ging denn Walter am Ende in die Fremde, un-
    gern und zweifelnd, nachdem er zuvor seine Militärzeit abgedient hatte. Ohne diese rauhe Vorschule hätte er es vermutlich nicht lange im fremden Leben
    draußen ausgehalten. Auch so fiel es ihm nicht leicht, sich durchzubringen. An sogenannten guten Stellen fehlte es ihm freilich nicht, da er überall mit guten Empfehlungen ankam. Aber innerlich hatte er viel zu schlucken und zu flicken, um sich oben zu halten und nicht davonzulaufen. Zwar mutete ihm niemand
    mehr zu, beim Wägen zu mogeln, denn er war nun meist in den Kontors großer
    Geschäfte tätig, aber wenn auch keine beweisbaren Unredlichkeiten geschahen, kam ihm doch der ganze Umtrieb und Wettbewerb ums Geld oft unleidlich
    roh und grausam und nüchtern vor, besonders da er nun keinen Umgang mehr
    mit Leuten von des Schlotzers Art hatte und nicht wußte, wo er die unklaren
    Bedürfnisse seiner Phantasie befriedigen sollte.
    Trotzdem biß er sich durch und fand sich allmählich mit müde gewordener
    Ergebung darein, daß es nun einmal so sein müsse, daß auch sein Vater es
    nicht besser gehabt habe und daß alles mit Gottes Willen geschehe. Die ge-
    heime, sich selber nicht verstehende Sehnsucht nach der Freiheit eines klaren, in sich begründeten und befriedigten Lebens starb allerdings niemals in ihm
    ab, nur wurde sie stiller und glich ganz jenem feinen Schmerze, mit dem jeder tief veranlagte Mensch am Ende der Jünglingsjahre sich in die Ungenüge des
    Lebens findet.
    Seltsam war es nun, daß es wieder die größte Mühe kostete, ihn nach Gerber-
    sau zurückzubringen. Obwohl er einsah, daß es sein Schade sei, das heimische Geschäft länger als nötig in fremder Pacht zu lassen, wollte er durchaus nicht heimkommen. Es war nämlich, je näher diese Notwendigkeit rückte, eine wachsende Angst in ihn gefahren. Wenn er erst einmal im eigenen Haus und Laden
    saß, sagte er sich, dann gab es vollends kein Entrinnen mehr. Es graute ihm
    davor, nun auf eigne Rechnung Geschäfte zu treiben, da er zu wissen glaubte, daß das die Leute schlecht mache. Wohl kannte er manche große und kleine
    Handelsleute, die durch Rechtlichkeit und edle Gesinnung ihrem Stand Ehre
    machten und ihm verehrte Vorbilder waren; aber das waren sämtlich kräftige,
    scharfe Persönlichkeiten, denen Achtung und Erfolg von selbst entgegenzu-
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    kommen schienen, und soweit kannte sich Kömpff, daß er wußte, diese Kraft
    und Einheitlichkeit gehe ihm völlig ab.
    Fast ein Jahr lang zog er die Sache hin. Dann mußte er wohl oder übel

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