Die Erzaehlungen 1900-1906
schonen, und behandelte sie im übrigen mit einer ungewandten, aber rührenden Rücksicht und Zartheit. Und
sie ließ ihn warten. Während sie ihn im persönlichen Umgang sich fern hielt
und quälte, behandelte sie ihn vor andern doch wie einen begünstigten Vereh-
rer, und er wußte nicht, geschah das aus Eitelkeit oder aus uneingestandener Neigung. Es kam vor, daß sie in irgendeiner Gesellschaft unvermutet
lieber
Brahm
zu ihm sagte, seinen Arm nahm und vertraulich mit ihm tat. In ihm
stritt dann Dankbarkeit mit Mißtrauen. Ein paarmal tat sie ihm auch schön
und sang ihm zu Hause vor. Dann hatte er, wenn er ihr die Hand küßte und
Dank sagte, Tränen in den Augen. Das ging ein paar Wochen. Dann wurde
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es Brahm zuviel. Die unwürdige Rolle eines dekorativen Verehrers wurde ihm
zum Ekel. Mißmut machte ihm die Arbeit unmöglich, und leidenschaftliche
Erregung raubte ihm den Schlaf. Eines Herbstabends packte er Malgerät und
Wäsche in einen Koffer und reiste am folgenden Morgen fort. In einem ober-
rheinischen Dorfe stieg er im Wirtshaus ab. Tagsüber wanderte er am Rhein
entlang und auf den Hügeln umher, abends saß er am Wirtstisch vor einem
Glas Landwein und rauchte eine Zigarre um die andre.
Nach acht und nach zehn Tagen hatte er noch immer nicht begonnen zu
arbeiten. Dann zwang er sich und spannte eine Leinwand auf. Aber zwei, drei
angefangene Studien warf er wieder weg. Es ging nicht. Die einseitige, aske-
tische Hingabe an die Arbeit, das gespannte, einsame Lauern auf verschwim-
mende Linien, brechende Lichter, aufgelöste Formen, die ganze einsiedlerische Künstlerschaft vieler Jahre war erschüttert, unterbrochen, vielleicht verloren.
Es gab nun andres, was ihn beschäftigte, andres, wovon er träumte, andres,
wonach er begehrte. Es mochte Menschen geben, die sich teilen konnten, deren Fähigkeiten und Leben vielfältig war; er aber hatte nur eine Seele, nur eine Liebe, nur eine Kraft.
Die Sängerin war zufällig allein zu Hause, als Reinhart Brahm sich melden ließ.
Sie erschrak, als er hereinkam und ihr die Hand entgegenstreckte. Er sah alt und vernachlässigt aus, und als sie seinem leidend glühenden Blick begegnete, sah sie ein, daß es gefährlich gewesen war, mit diesem Menschen zu spielen.
Sie sind zurück, Herr Brahm?
Ja, ich bin gekommen, um mit Ihnen zu reden, Fräulein Lisa. Verzeihen
Sie, ich hätte es gern vermieden, aber es geht nun doch nicht anders. Ich muß Sie bitten, mich anzuhören.
Nun denn, wenn Sie darauf bestehen. Obschon –
Danke. Meine Sache ist bald erzählt. Sie wissen, daß ich Sie liebe. Ich habe Ihnen früher einmal gesagt, daß ich nicht mehr ohne Sie leben könnte. Jetzt
weiß ich, daß das wahr ist. Ich habe inzwischen den Versuch gemacht, ohne
Sie zu leben. Ich kehrte zu meiner Arbeit zurück. Zehn Jahre lang, ehe ich Sie kannte, habe ich gemalt, nichts getan als gemalt. Das wollte ich nun wieder
tun, still sein und malen, nichts denken und nichts begehren, als Bilder zu
malen. Und es ist nicht gegangen.
Nicht gegangen?
Nein. Es fehlte am Gleichgewicht, verstehen Sie. Früher war das Malen
mein Einziges, meine Sorge und meine Liebe, meine Sehnsucht und meine
Befriedigung. Es schien mir, mein Leben wäre schön und reich genug, wenn es
mir gelänge, noch eine Anzahl Bilder von der Art zu malen, die kein andrer
machen könnte. Darum war meine Arbeit gut. Und jetzt geht mein Verlangen
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nach anderem. Jetzt weiß ich nichts zu wünschen als Sie, und es gibt nichts, was ich nicht für Sie gern hingäbe. Darum bin ich nochmals gekommen, Lisa.
Wenn Sie mir gehören wollten, wäre mir das bißchen Malerei einerlei. – Geben Sie mir also eine Antwort! So wie es war, kann es nicht bleiben. Ich biete mich Ihnen an, wie Sie mich wollen. Wenn Sie nicht heiraten mögen, dann ohne
Heirat. Das liegt bei Ihnen.
Also ein Heiratsantrag!
Wenn Sie wollen, ja. Ich bin nicht mehr jung, aber ich habe nie in meinem
Leben geliebt. Was ich von Wärme und Sorge und Treue zu geben habe, gehört
Ihnen allein. – Ich bin reich. –
O –
Verzeihen Sie. Ich meine nur, ich brauche nicht vom Malen zu leben. Lisa,
verstehen Sie mich wirklich nicht? Sehen Sie nicht, daß ich mein Leben in Ihre Hand lege? Sagen Sie mir ein Wort!
Es entstand ein peinliches Schweigen. Sie wagte nicht, ihn anzusehen, sie
hielt ihn für halb krank. Endlich redete sie, schonend und freundlich. Aber
er verstand beim ersten Wort. Sie stellte ihm vor, wie sehr er sie
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