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Die Erzaehlungen 1900-1906

Die Erzaehlungen 1900-1906

Titel: Die Erzaehlungen 1900-1906 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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oder dort noch einen Nachklang anzutreffen hoffte.
    Ein Gang durch nächtige Straßen, von erleuchteten Fenstern her spärlich
    bestrahlt, an alten Giebelformen und Vortreppen und Erkern vorüber. In der
    schmalen, krummen Maiengasse hielt mich vor einem altmodischen Herren-
    hause ein Oleanderbaum mit ungestümer Mahnung fest. Ein Feierabendbänk-
    lein vor einem andern Hause, ein Wirtsschild, ein Laternenpfahl taten dassel-be, und ich war erstaunt, wieviel längst Vergessenes in mir doch nicht vergessen war. Zehn Jahre hatte ich das Nest nimmer gesehen, und nun wußte ich
    plötzlich alle Geschichten jener merkwürdigen Jünglingszeit wieder.
    Da kam ich auch am Schloß vorbei, das stand mit schwarzen Türmen und
    wenigen roten Fenstervierecken kühn und verschlossen in der regnerischen
    Herbstnacht. Damals als junger Kerl ging ich abends selten dran vorüber,
    ohne daß ich mir im obersten Turmzimmer eine Grafentochter einsam wei-
    nend dachte und schlich mich mit Mantel und Strickleiter über halsbrechenden Mauern, bis an ihr Fenster empor.
    Mein Retter , stammelte sie freudig erschrocken.
    Vielmehr Ihr Diener , antwortete ich mit einer Verbeugung. Dann trug
    ich sie sorgsam die ängstlich schaukelnde Leiter hinab – ein Schrei, der Strick war gerissen – ich lag mit gebrochenem Bein im Graben, und neben mir rang
    die Schöne ihre schlanken Hände.
    O Gott, was nun? Wie soll ich Ihnen helfen?
    Retten Sie sich, Gnädigste, ein treuer Knecht wartet Ihrer bei der hintern
    Pforte.
    Aber Sie?
    Eine Kleinigkeit, seien Sie unbesorgt! Ich bedaure nur, Sie für heute nicht
    weiter begleiten zu können.
    Es hatte seither, wie ich aus der Zeitung wußte, im Schloß gebrannt; doch
    sah man, wenigstens jetzt bei Nacht, keine Spuren davon, es war alles wie
    früher. Ich betrachtete mir den Umriß des alten Gebäudes eine kleine Wei-
    le, dann bog ich in die nächste Gasse ein. Und da hing auch noch derselbe
    groteske Blechlöwe im Schild des ehrwürdigen Wirtshauses. Hier beschloß ich
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    einzukehren und um Nachtlager zu fragen.
    Ein gewaltiger Lärm schlug mir aus dem weiten Portal entgegen, Musik, Ge-
    schrei, Hin und Wider der Dienerschaft, Gelächter und Pokulieren, und im Hof standen abgeschirrte Wagen, an denen Kränze und Girlanden aus Tannenreis
    und Papierblumen hingen. Beim Eintreten fand ich den Saal, die Wirtsstu-
    be und sogar noch das Nebenzimmer von einer fröhlichen Hochzeitsgesell-
    schaft besetzt. An ein ruhiges Abendessen, eine beschaulich erinnerungsselige Dämmerstunde beim einsamen Schoppen und ein frühes, friedliches Schlafengehen war da nicht zu denken.
    Indem ich die Saaltüre öffnete, drang ein ausgesperrter kleiner Hund zwi-
    schen meinen Beinen durch in den Raum, ein schwarzer Spitzerhund, und
    stürzte mit wütendem Freudengebell unter den Tischen hindurch seinem Herrn
    entgegen, den er sogleich erblickt hatte, denn er stand gerade aufrecht an der Tafel und hielt eine Rede.
    – und also, meine verehrten Herrschaften , rief er mit rotem Gesicht und
    überlaut, da fuhr wie ein Sturm der Hund an ihm hinauf, kläffte freudig und
    unterbrach die Rede. Gelächter und Scheltworte erklangen durcheinander, der
    Redner mußte seinen Hund hinausbringen, die verehrten Herrschaften grinsten
    schadenfroh und tranken einander zu. Ich drückte mich beiseite, und als der
    Herr des Spitzerhundes wieder an seinem Platz und wieder in seiner Rede war, hatte ich das Nebenzimmer erreicht, legte Hut und Mantel weg und setzte mich ans Ende eines Tisches.
    An vortrefflichen Speisen fehlte es heute nicht. Und schon während ich am
    Hammelbraten arbeitete, erfuhr ich von meinem Tischnachbarn das Nötigste
    über die Hochzeit. Das Paar war mir nicht bekannt, wohl aber eine große Zahl der Gäste – Gesichter, die mir vor Jahren vertraut gewesen waren und die
    mich nun, viele schon im halben Rausch, beim Schein der Lampen umgaben,
    mehr oder minder verändert und gealtert. Einen feinen Bubenkopf mit ern-
    sten Augen, mager und zart geschnitten, sah ich wieder – erwachsen, lachend, schnurrbärtig, eine Zigarre im Mund, und ehemalige junge Burschen, denen
    das Leben um einen Kuß und die Welt um einen Narrenstreich feil gewesen
    war, staken nun in Backenbärten, hatten die Hausfrau bei sich und regten sich in Philistergesprächen über Bodenpreise und Änderungen des Eisenbahnfahr-plans auf.
    Alles war verändert und doch noch lächerlich kenntlich, und am wenigsten
    verändert war erfreulicherweise die Wirtsstube und

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